UX-Nachwuchs finden, ausbilden und übernehmen - Teil 4: Die Übernahme

Die zwölf Monate des UX-Traineeships neigen sich dem Ende entgegen. Was ist vor und nach der Übernahme zu erledigen und zu beachten? In Teil 4 der Serie geht Stefan Freimark auf die Übernahme ein, und beantwortet Fragen die ihm zum Trainee-Programm von Aperto gestellt wurden.

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Kurz vor Ablauf der zwölf Monate führen Mentor und Trainee ein Abschlussgespräch – bisher waren das bei uns immer Übernahmegespräche. In diesem Gespräch gibt es nochmals einen gemeinsamen Blick auf den ausgefüllten Ausbildungsplan, denn: Das Ende des Traineeships ist nicht das Ende der Ausbildung! Wenn der Trainee übernommen wird, behalten der ehemalige Trainee – künftig Junior UX Designer – und sein Teamleiter die noch offenen Punkte im Blick, so dass bei passender Projektgelegenheit die fehlenden Erfahrungen gesammelt werden können.

Sofern der Trainee sein Trainee-Thema noch nicht ausgearbeitet hat, wird das ebenfalls in den nächsten Wochen nachgeholt – da muss jeder durch!

Jeder Trainee erhält ein Arbeitszeugnis

Am Ende des Traineeships erhält jeder Trainee ein Arbeitszeugnis – auch bei einer Übernahme als Junior. Der Ausbildungsplan hilft hier ebenfalls, da sich dadurch das Zeugnis schneller und zuverlässiger erstellen lässt. In das Trainee-Arbeitszeugnis nehmen wir in der Regel mit auf, bei welchen größeren Projekte der Trainee mitgearbeitet hat, sowie seine wichtigsten Tätigkeiten in diesen Projekten. Hier zwei Beispiele:

Kunde ABC (Windows-Software)

  • Erstellung von Wireframes für verschiedene Usecases (mit Axure)
  • Abstimmung mit Associate Director UX, Visual Designern und Projektmanager
  • Vorstellung seiner Arbeitsergebnisse in Kundenterminen
  • Erarbeitung eines Konzepts zur barrierefreien Nutzung der Software

Kunde XYZ (Smartphone-App)

  • Schätzung von Epics und User Storys
  • Erstellung von Scribbles (mit Sketch/InVision) und Abstimmung mit anderen Disziplinen
  • Erarbeitung eines Flowcharts für den Prozess „Dokumente hochladen“
  • Hallway-Usabilitytests
  • Mitarbeit an der neuen Inhaltsstruktur und Durchführung Card Sorting
  • Aktive Teilnahme an den Scrum-Meetings (Standups, Planning, Review, Retrospektive)

Zusätzliche Aufgaben, die unabhängig von einem Kundenprojekt waren, werden natürlich auch erwähnt:

„Herr X hat eine umfangreiche Marktrecherche zu Krankenhausinformationssystemen durchgeführt, und der gesamten Abteilung in einer Präsentation vorgestellt.”

„Frau Y hat darüber hinaus einen Brainstorming-Workshop für Kunde Z eigenständig vorbereitet und erfolgreich durchgeführt.”

Vor der Bewertung von Arbeitsleistung und Verhalten werden außerdem noch die Stationen der Austauschwochen genannt, sowie Teilnahmen an internen Trainings aufgeführt.

Wir diskutieren derzeit, Trainees eine Zertifizierung anzubieten

Aktuell ist bei uns im Gespräch, Trainees eine UXQB-Zertifizierung für den Foundation Level zu ermöglichen. Einerseits wäre das eine unabhängige Bestätigung, sich mit wichtigen User-Experience-Begriffen auszukennen. Andererseits sind die öffentlich verfügbaren Dokumente zur Vorbereitung auf die Prüfung eine gute Quelle zur Abrundung des erworbenen Fachwissens.

Fazit

Ein Trainee-Programm ist eine sehr gute Möglichkeit, um UX-Nachwuchs auszubilden!

  • Wir ermöglichen Berufsanfängern einen Einstieg in den Beruf des UX Designers.
  • Wir bekommen Nachwuchstalente mit den Kenntnissen und Fähigkeiten, die sie bei uns brauchen.
  • Unsere künftigen Junior-Kollegen sind kulturell „an Bord“. Sie kennen viele Kunden, Projekte und Abläufe, und haben dadurch praktisch keine weitere Einarbeitungszeit.

Ich kann daher nur empfehlen, ein Trainee-Programm einzuführen. Andere Organisationen und Unternehmen dürfen hierfür gerne unsere Vorarbeit als Basis verwenden. Der Download-Link steht am Schluss des Artikels.

Über unser UX-Traineeship habe ich 2018 auf drei Konferenzen berichtet. Im Anschluss an die Vorträge wurden mir einige Fragen gestellt, auf die ich auch hier eingehen möchte. Die Fragen habe ich in die folgenden Kategorien eingeteilt:

  • Daten und Fakten
  • Zielgruppe
  • Bewerbungsprozess
  • Praxis
  • Zeitaufwand und Kosten

Daten und Fakten

Wie viele UX-Trainees hat Aperto bisher ausgebildet, und wie viele wurden übernommen?

Seit 2010 wurden bei Aperto acht UX-Trainees ausgebildet – alle acht haben wir danach als Junior übernommen. Ich selbst habe drei Trainees ausgebildet. Aktuell (Mai 2019) gibt es bei uns eine UX-Trainee, und in allen Disziplinen haben wir derzeit insgesamt sechs Trainees. Wir bilden generell nicht über Bedarf aus. Wir achten auch darauf, dass wir genügend Ausbildungskapazitäten haben – also Seniors, die für ein Jahr jemanden ausbilden möchten und können. Dadurch gewährleisten wir eine gute Betreuung.

Warum bietet Aperto keine Mediengestalter-Ausbildung an?

Das Traineeship ist für uns flexibler als eine IHK-Ausbildung. Wir können das so gestalten wie wir es für richtig halten und wie es am besten zu uns passt. Außerdem ermöglicht das die kurze Laufzeit von nur einem Jahr.

Zielgruppe

Gibt es Traineeships auch für Berufserfahrene?

Das Traineeship bei Aperto ist eine Ausbildung für Berufseinsteiger – manchmal verwenden andere Unternehmen den Begriff „Trainee” auch für Berufserfahrene, die dann auf eine Tätigkeit im Management vorbereitet werden. Siehe dazu auch die nächsten Fragen (und Antworten) unter dieser Überschrift.

Du hast viel von Studienabgängern gesprochen, die gar keine Berufserfahrung haben. Was macht ihr mit Leuten, die z.B. vorher Grafikdesigner waren?

Unsere bisherigen Trainees waren Berufseinsteiger kurz nach ihrem Studienabschluss. Das Trainee-Programm ist prinzipiell jedoch auch für Quereinsteiger geeignet.

Das Programm richtet sich an Absolventen. Was macht ihr mit Leuten, die schon weiter sind?

Generell ist das eine Einzelfallentscheidung. Man kann auch nicht sagen, dass Absolventen zum Beispiel eines bestimmten Studiengangs pauschal als Trainees oder pauschal als Juniors eingestellt werden: Es hängt von der Ausrichtung der Studiums oder der Weiterbildung ab, aber auch was jemand vielleicht schon davor oder währenddessen gemacht hat. Wer schon ein einschlägiges Studium absolviert hat und im Zuge dessen auch relevante Praktika absolviert hat – also schon erste Berufserfahrung gesammelt hat –, der muss natürlich nicht das Traineeprogramm durchlaufen. Wenn jemand unserer Ansicht nach tatsächlich schon auf dem Junior-Level ist und wir gerade eine Junior-Stelle haben, dann bieten wir natürlich diese an.

Sind auch Programme für andere Level geplant?

Da es für frischgebackene Juniors auch noch jede Menge zu Entdecken gibt, sind wir schon auf die Idee gekommen, das Weiterlernen im Interesse der Juniors auch etwas zu strukturieren. So weit sind wir jedoch noch nicht. Allerdings ist Ausbildung auch nicht unser Kerngeschäft, daher werden wir in nächster Zeit wahrscheinlich keine Trainingsprogramme für alle Levels konzipieren.

Bewerbungsprozess

Wie viele Bewerbungen bekommt Aperto?

Wir bekommen generell mehr Bewerbungen für juniorige Levels als für Mid-Level, Senior oder darüber – das ist bei uns nicht anders als im Rest der Branche. Auf eine ausgeschriebene Trainee-Stelle bekommen wir innerhalb von vier Wochen eine zweistellige Zahl von Bewerbungen (dann wird die Stelle offline genommen), und wir laden maximal drei bis fünf Bewerber zu einem Gespräch ein.

Wird die Hausaufgabe nur Trainees gestellt oder auch Juniors?

Derzeit wird sie nur UX-Trainees gestellt, aber ich denke dass sie auch bei Junior-Bewerbern sinnvoll ist.

Wie stellt ihr sicher, dass nicht länger als die vorgesehenen drei Stunden an der Hausaufgabe gearbeitet wird?

Das können wir nicht wirklich sicherstellen. Ein Grund, weswegen wir die Aufgabe knapp vor dem Gesprächstermin versenden – drei Tage vorher – ist, dass nicht zu viel Zeit zur Bearbeitung bleibt. Wir möchten nicht, dass sich ein Bewerber eine Woche lang den Kopf zerbricht. Die Aufgabe kann gut an einem oder zwei Abenden bearbeitet werden, wie uns auch mehrere Bewerber bestätigt haben.

Warum nicht im Vorstellungsgespräch an der Aufgabe arbeiten?

Im Gespräch wäre dafür zu wenig Zeit: Trainee-Vorstellungsgespräche dauern in der Regel nur eine Stunde. Einerseits wäre es zu wenig Zeit was die Gesamtdauer des Gesprächs betrifft. Andererseits muss man als Bearbeiter der Aufgabe auch mal zehn Minuten in Ruhe über etwas nachdenken können, etwas recherchieren, eine Skizze machen, die Idee wieder verwerfen und einen anderen Gedanken weiterverfolgen… Und im Gespräch geht es vor allem darum, sich gegenseitig kennenzulernen.

Praxis

Wie viele Trainees betreut ein Mentor?

Das Verhältnis ist immer 1:1.

Macht das immer der gleiche oder sind es verschiedene Mentoren?

In der UX-Disziplin gibt es mehrere Mentorinnen und Mentoren. Es betreuen nicht immer alle gleichzeitig einen Trainee, und manche setzen auch mal ein Jahr aus. Oder es kommt ein neuer Mentor dazu, wenn ein Senior gerne einen Trainee ausbilden möchte.

Tauschen sich die Mentoren untereinander aus?

Ja! Einmal im Monat treffen sich alle Mentoren aus allen Disziplinen, um gemeinsam das Trainee-Programm für die ganze Firma weiterzuentwickeln. Moderiert wird das Treffen von einer Kollegin aus der Personalabteilung, die derzeit einen neuen Rahmen für die Traineeships aller Disziplinen entwickelt (im Spätsommer soll es soweit sein).

Zeitaufwand und Kosten

Wie ist der Zeitaufwand für Mentoren?

In den ersten zwei oder drei Wochen sollte sich ein Mentor zwei Stunden pro Tag nehmen. Die Zeit ist notwendig um fachliche Grundlagen sowie Hintergründe zu erklären, um Aufgaben zu erläutern und um Feedback zu geben. Danach wird es kontinuierlich weniger, bis es in den späteren Monaten nur noch eine Stunde die Woche für den Jour Fixe ist, sowie eine Stunde hier und da um sich um die Austauschwochen und um Folgeprojekte zu kümmern.

Wie viel Zeit darf ein Mentor für das Mentoring verwenden?

Dazu gibt es keine Vorgaben. Als Dienstleister spielt für diejenigen, die im operativen Geschäft arbeiten, natürlich die Fakturierungsquote eine Rolle – also das Verhältnis zwischen Projektarbeitszeit und allen internen Tätigkeiten. Wie sich ein Mentor die Zeit einteilt, ist seine Sache. Auf den Monat oder das Quartal gerechnet sollte ein Mentor jedoch darauf achten dass die Fakturierungsquote passt, wobei die höheren Erfahrungsstufen einen größeren Intern-Anteil haben.

Klingt nach einer Menge Arbeit – kalkuliert ihr den Return on Investment?

Wir berechnen das nicht. Für die Firma ist es enorm wichtig, gut ausgebildete Leute zu haben – ihr wisst selbst wie aufwändig es ist, ausgebildete und erfahrene UXer zu finden. Uns ist natürlich bewusst, dass nicht alle Trainees ewig bei uns bleiben. Jetzt könnte man argumentieren: „Dann bilden wir für die Konkurrenz aus.“ Aber so sehen wir das nicht: Wir hoffen darauf und freuen uns, wenn frühere Kollegen nach einem „Seitensprung“ wieder zu uns zurück kommen (das ist tatsächlich schon mehrfach passiert; bei Aperto gibt es eine ganze Reihe von „Rückkehrern“). Wir sind uns auch darüber bewusst dass das Trainee-Programm Geld kostet, da die Arbeitszeit von Trainees den Kunden nicht voll in Rechnung gestellt werden kann, und die Zeit die sich die Mentoren nehmen auch teuer ist. Unser Controlling hat für alles Mögliche Zahlen, aber was das Trainee-Programm kostet, wird nicht erhoben. Dass bei uns niemand fragt „Was kostet das eigentlich?“ sehe ich auch als Zeichen dafür, dass es uns das wert ist.

Falls noch Fragen unbeantwortet sind, dann schreibt sie in die Kommentare!

Download

Wir freuen uns, wenn andere Unternehmen ebenfalls ein Programm für UX-Trainees auf dieser Basis anbieten. Damit ihr nicht bei Null anfangen müsst, findet ihr hier den Ausbildungsplan, die Hausaufgabe für Bewerber und die Übungsaufgaben zum Download: Materialpaket UX-Trainee-Programm (PDF & DOC, ca. 1MB)

Über dieses Thema habe ich 2018 auf drei Konferenzen gesprochen. Einen Screencast meines Konferenzvortrags – quasi das Audiobook – könnt ihr bei Vimeo ansehen/anhören.

Andere Teile dieser Serie

Über Stefan Freimark

Stefan Freimark ist Associate Director für Experience und Service Design bei Aperto in Berlin. In über zehn Jahren als Konzepter in Digitalagenturen war er für Kunden aus unterschiedlichsten Branchen tätig: von der Automobilindustrie und Finanzdienstleister über Hochschulen, Gesundheitswesen und Medizintechnik bis zu Projekten für Bundesministerien und Bundesbehörden. Nebenbei hat er mehrere Jahre lang UX-Grundlagen an der Good School in Hamburg und in Googles Launchpad-Programm für Startups vermittelt, sowie vier Jahre lang das UXcamp Europe mitorganisiert.

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