Auf dem Weg von der Idee zum fertigen Produkt müssen Produktmanager viele Fragen beantworten. Research ist deshalb ein wichtiger Teil des Produktentwicklungsprozesses.
Während Research in späteren Phasen des Entwicklungsprozesses (z.B. Lab- und multivariate Tests) heutzutage fest in das Repertoire eines jeden Produktmanagers gehört, sieht es mit dem Frühphasen-Research weiter vorne im Prozess noch ganz anders aus.
Die wesentliche Aufgabe des Frühphasen-Researchs ist es, den Problem/Lösungs-Fit zu validieren: Gibt es ein wichtiges Kundenproblem und löst unsere Lösung auch wirklich das Problem?
Die Antworten auf diese Fragen definieren zum großen Teil die Eigenschaften, Kosten und den Erfolg des Produkts. Wenn ein Produktmanager also auf eines achten sollte, dann darauf, in dieser Phase des Researchs tief involviert zu sein.
In der Praxis sieht so ein Frühphasen-Research aber typischerweise so aus:
- „Wir brauchen Research!“
- „Was sollen wir tun?“
- „Eine Kundenbefragung wäre toll!“
- „Wir haben aber nicht viel Zeit! Warum nehmen wir nicht die Agentur, die wir zuletzt schon hatten?“
- „Puh, die ist aber teuer!“
- „Ok, dann müssen wir über alle Abteilungen möglichst viele Fragen sammeln, damit sich das lohnt!“
- Immer mehr Leute werden involviert.
- „Wäre toll, wenn wir das lernen könnten … und das … und das … und das auch noch!“
- „Wir müssen jetzt mal zum Ende kommen, bitte überprüft das Briefing an die Agentur noch einmal!“
- Noch mehr Fragen werden hinzugefügt.
- Die Agentur macht die Arbeit (Blackbox).
- 1h Präsentation mit 250 Folien und 30min Frage & Antwort.
- „Das ist aber interessant!“
Das Beste an einem solchen Research Projekt ist, dass alle das gute Gefühl bekommen, endlich mal wieder mit Kunden in Kontakt gewesen zu sein. Aber die Lücke zwischen Wahrnehmung und Realität könnte größer nicht sein. Entsprechend sieht ein Produkt, das auf dieser Art von Research aufbaut, ungefähr so aus:
Die Intention ist irgendwie sichtbar und es gibt vielleicht auch ein paar Kunden, die bereit sind, dafür Geld auszugeben. Aber der Gesamtnutzen ist zu klein, um einen wirklichen Produkt/Markt-Fit und ein skalierbares Geschäftsmodell darauf aufzubauen. Schlimmer noch: Es gibt auch später kaum einen Weg, das Produkt über Labor- oder multivariate Tests zurück auf Kurs zu bringen. Durch die Pseudo-Kundenorientierung liegt der Fehler dazu viel zu weit vorne. Das per se suboptimale Produkt wird dann mühsam auf niedrigem Niveau weiter verbessert oder es wird eingestampft.
Auf die Frage, warum Unternehmen immer wieder (und oft wissentlich) Tonnen von Geld für diese Art von nutzlosem Research ausgeben, bekomme ich in der Regel zwei Standardantworten:
- „Wir haben keine Zeit.“
- „Wir wissen nicht, wie das geht.“
Die gute Nachricht ist, dass beide Annahmen meistens nicht wahr sind. Frühphasen-Research ist keine Raketentechnologie und jeder kann schnell auf ein Niveau kommen, das für fast alle Rahmenbedingungen gut genug ist. Die Frage ist, was besser ist: 95% valide Daten, die kaum nutzbar sind, oder 80% valide Daten, die direkt in Maßnahmen überführt werden können:
Bleibt die Annahme, dass nicht genug Zeit vorhanden ist – und darin versteckt sich die schlechte Nachricht: Zeit ist immer eine Frage der Priorität. Wenn es nicht genug Zeit für Frühphasen-Research gibt, dann ist es für die Produktmanager und/oder die Organisation einfach nicht wichtig genug. Mit dieser Einstellung aber wird das Produktmanagement leichte Beute für alle Sorten von Biz Devs, Markforschern und Agenturen, die sehr gut davon leben, Tonnen von Präsentationen zu produzieren, die dann in Schubladen verrotten.
Wenn du mit dem Holz-Spoiler leben kannst, dann bitte nicht weiterlesen. Für alle anderen: Es ist Zeit, sich die Research-Butter nicht mehr vom Brot nehmen zu lassen! Lass die Biz Devs und Marktforscher machen, was immer sie machen wollen, du musst für dich deinen Frühphasen-Research definieren und auch ausführen – basierend auf deinen spezifischen Produktmanagement-Fragen.
Startpunkt für jeden Frühphasen-Research ist die Frage nach Kontext und Intention. Das hört sich erstmal trivial an, ist aber der schwierigste Teil. Wenn dieses Warum des Researchs klar ist, wird die Fragenwunschliste schon überschaubarer, aber es lohnt sich, noch weiter nachzudenken und genau aufzulisten, was bereits bekannt ist und was nicht. Es gibt immer genug Sachen, die man nicht weiß, aber nicht alles davon ist relevant (zumindest nicht jetzt). Es ist auch in Ordnung, Annahmen zu definieren, d.h. Aussagen, die man eigentlich nicht belegen kann, aber für wahr ansieht. Wenn man die Annahmen und alles, was (jetzt) nicht wichtig ist, wegschneidet, bleibt das übrig, was wirklich relevant ist: Alle Dinge, die JETZT geklärt werden müssen (das unbekannte Unbekannte zu lernen, das bei jedem Research das wahrscheinlich Interessanteste ist, kann sowieso nicht wirklich geplant werden und kommt als Nebenprodukt). Im Zweifel muss der Research in Teile geschnitten werden – genau wie jedes Epic.
Erst wenn klar ist, was und warum jetzt gelernt werden muss, ist es Zeit, über die Research-Methode nachzudenken. Wie immer im Produktmanagement gibt es hier nicht die eine Wahrheit. Es gibt diverse Optionen, wobei es darauf ankommt, jeweils die schlankste zu finden, um Kosten, Zeit und Qualität zu balancieren. Wer hier noch Fragen hat, der sollte Tomer Sharons Buch „Validating Product Ideas“ lesen. Dann schnapp dir den Research und leg los!
Was in diesem Kontext – “Frühphasen Research” – hilfreich ist, ist ein steter Kontakt zu Lead-Usern. Zum Beispiel in dem man eine Art Panel bzw. (geschlossene) Community aufbaut.
Die dort vereinten Lead-User (= Zielgruppe der Anwendung, die diese heut und/oder in Zukunft intensiv nutzen weil sie sie brauchen) können für eine Diskussion zu / über konkrete Themen angesprochen und darin einbezogen werden.
Wenn das Panel einmal steht, gibt es Antworten auf Fragen innerhalb von Stunden (weiteren Input dazu gibt es u.a. hier: –// http://www.usabilityblog.de/2012/07/lead-user-technik-wagen-sie-neues/).
P.S.: Die Marktforschung perse hat schon viel zu bieten in Sachen Ideenentwicklung und -validierung in ganz, ganz frühen Phasen. Denke hier vor allem an Institute wie Rheingold. Was “der Marktforschung” aber noch nicht so leicht über den Schreibtisch geht, sind kleine, schnelle Projekte. Das mögen wenige Marktforscher, so mein Eindruck. Aber auch jene Branche wird sich wandeln.
Sehr schöner Artikel – deine Schlussfolgerungen und Hinweise für die Gestaltung der Phase würde ich auf jeden Fall unterschreiben. Allerdings habe ich etwas gegen die Prämisse, dass Externe das nicht können (ja ich gebe zu, ich komme von einer Agentur und bin naturgemäß etwas befangen bei dem Thema).
Zwei konkrete Anmerkungen: eine Agentur, die eine dicke Research-Phase hinter verschlossenen Türen als Blackbox macht und am Ende “1h Präsentation mit 250 Folien und 30min Frage & Antwort” liefert ist gelinde gesagt nicht ganz so toll. Gerade wenn es in frühem Research darum geht, erst einmal ein gemeinsames Bild vom Produkt und seinem Nutzen zu bekommen, ist es extrem wichtig, die Auswertung des Research *mit* dem Unternehmen zu machen. Das heißt, das Projektteam des Unternehmens muss tief in die Materie einsteigen – verstehen, was genau im Research gemacht wurde, was die Ergebnisse bedeuten und welche Schlüsse daraus zulässig (bzw. unzulässig sind). Das geht z.B. in gemeinsamen Workshops.
Meine zweite Anmerkung setzt noch einen Schritt vorher an: wenn die Agentur sich ein riesiges Briefing mit unzähligen Fragen aus verschiedenen Abteilungen geben läßt als Grundlage für ihre Arbeit “rührt der Teufel schon mit im Topf”. Die Agentur macht sich damit zum Sklaven einer Erwartungshaltung, die eine eierlegende Wollmillchsau sehen will. Das kann nicht klappen. Auch hier gilt: früh mit den Beteiligten reden, klarstellen, was realistisch ist und welche Fragen denn nun wirklich beantwortet werden sollen. Und wenn das nicht geschieht gilt auch hier, dass sich die Agentur wohl vielleicht wirklich nur eine goldene Nase verdienen will.