Produktänderungen – Warum Nutzer sie hassen und was wir dagegen tun können

Als Produktmanager und UX-Designer streben wir danach, unsere Produkte kontinuierlich weiterzuentwickeln und stetig zu verbessern. Doch egal wieviel Mühe wir uns geben, es gibt immer Nutzer, die unsere Optimierungen nicht wertschätzen, sie ablehnen oder im schlimmsten Fall so sehr hassen, dass sie einen öffentlichen „Shitstorm“ auslösen.

Hierfür gibt es mehrere Gründe, und Psychologie spielt dabei eine wichtige Rolle. Doch es gibt auch Mittel und Wege, wie man den Widerständen der Nutzer begegnen, sie reduzieren und im besten Fall ganz beseitigen kann.

Abneigung gegen Veränderung

Im Juni 2011 war es soweit: Nach vielen Monaten harter Arbeit erblickte das (damals) neue XING mit neuem Design und vielen weiteren Änderungen das Licht der Welt. Diesem Relaunch vorangegangen waren viele Stunden Nutzer-Interviews und Usability-Tests, mehrere Umfragen und weiterer Research. Kern des neuen XING war, neben einem neuen visuellen Design, eine neue Startseite. Diese beinhaltete statt einer Vielzahl kleiner, konfigurierbarer Container für verschiedene Informationen einen zentralen Feed, umrandet von wenigen, dafür (so hatte unser Research ergeben) relevanten Informationen.

Das Redesign von XING führte nach dem Release allerdings zu einem Aufschrei unter den XING Nutzern. Man habe sie ihrer Kontrolle über die Startseiten-Inhalte beraubt, der Feed sei unflexibel und nicht relevant – und generell sei das neue Design überhaupt nicht ansprechend und würde zu sehr an Facebook erinnern. Nutzer drohten, ihre XING Premium-Mitgliedschaft zu kündigen bzw. das Netzwerk ganz zu verlassen.

Kritik am Redesign von XING in 2011

 

Acht Jahre später, März 2019: XING war mittlerweile zum Einhorn aufgestiegen, hatte seine Mitgliederzahl deutlich steigern können, und der zentrale Feed auf der Startseite war immer noch vorhanden (und natürlich weiterentwickelt worden).

Ich war mittlerweile nicht mehr bei XING beschäftigt, dafür bei der Star Finanz und hier verantwortlich für die Produktentwicklung der Multibanking-Anwendung StarMoney. Auch StarMoney hatte eine individuell konfigurierbare Übersichtsseite mit verschiedenen kleinen Containern. Diese brachten Profi-Nutzern zwar eine hohe Flexibilität, waren für neue Nutzer mit einfachen Anforderungen aber eher schwer zu verstehen. Also führten wir eine Product Discovery durch, sprachen mit bestehenden Nutzern sowie solchen, die es vielleicht mal werden wollten, und entwickelten ein neues Konzept für die Übersichtsseite von StarMoney. Mit weniger Flexibilität, dafür jedoch mit einem für die meisten Nutzer relevanten Set an Informationen. Wir führten Nutzertests und Umfragen durch, machten eine Beta-Phase, sammelten und analysierten Feedback, erhoben die Zufriedenheit mit dem neuen Konzept – welche deutlich höher war, als mit der bisherigen Übersicht – und veröffentlichten die neue Übersichtsseite schließlich.

Das Ergebnis: Gerade langjährige Bestandskunden fluteten unsere Support-Kanäle, beschwerten sich über die weggenommene Flexibilität und Kontrolle und drohten mit Abwanderung und Kündigung.

Kritik am Redesign der Übersichtsseite in StarMoney 12

 

Fast Forward in die Gegenwart: Die Übersichtsseite von StarMoney basiert immer noch auf dem 2019 entwickelten Konzept, StarMoney ist nach wie vor erfolgreich am Markt und die Gemüter der Nutzer haben sich beruhigt. Allerdings haben wir die Übersicht weiterentwickelt und den Nutzern wieder mehr Möglichkeiten zur Konfiguration der dargestellten Informationen gegeben.

XING oder StarMoney sind nicht die einzigen Produkte, bei denen sich Nutzer sehr kritisch zu Änderungen geäußert haben. Dienste wie Twitter, Snapchat, Google und vielen anderen bekannten Anwendungen und Seiten kämpfen ebenfalls regelmäßig mit negativem Feedback von Nutzern, die Änderungen nicht gutheißen.

Kritik am Twitter Redesign 2021

 

Was lernen wir aus diesen exemplarischen Geschichten?

“In fact, anytime you release a redesign, prepare for a flood of angry emails from customers. It’s a law of nature that users hate change, and they’ll complain every time you move anything around or otherwise reduce their ability to just do what they’ve always done.”
Jakob Nielsen

Gerade langjährige Nutzer haben eine Abneigung gegen Veränderung. Egal wie nutzerzentriert man vorgeht und wie viel Research man vorher betreibt: Es wird immer Nutzer geben, die unzufrieden sind, mit Kündigung drohen (und diese z.T. auch wahr machen) oder gar öffentlich zum Boykott aufrufen. Dieser Unmut legt sich in der Regel allerdings mit der Zeit und die Nutzer gewöhnen sich an die Veränderungen, finden sie später oftmals sogar besser.

Warum Veränderungen abgelehnt werden

Die Hintergründe einer teilweise starken Ablehnung von Veränderungen sind psychologischer Natur. Auch wenn eine Veränderung ausgiebig mit Nutzern getestet wurde und “objektiv” eine Verbesserung gegenüber dem Bekannten darstellt, reagieren Nutzer häufig negativ darauf. Dies hat verschiedene Gründe (siehe auch Why Everyone Always Hates Redesigns, Even When They’re GoodWhy do people hate redesigns? oder This Is Why Users Hate Redesigns).

Nutzern ist Design (überwiegend) egal

Im Gegensatz zu Produktmanagern und UX-Designern verbringen die meisten Nutzer nur wenig Zeit damit, ein Produkt bzw. dessen Design und Funktionen zu analysieren oder zu bewundern. Sie sind mit einem Produkt dann zufrieden, wenn sie die benötigten Funktionen kennen, schnell finden und effizient nutzen können.

„Users don’t care about design for its own sake;
they just want to get things done and get out”.
Jakob Nielsen

Veränderungen im Produkt greifen hier störend ein, was dazu führt, dass die Nutzer neu lernen müssen, wie sie die Funktionen finden und bedienen können. Die Folge ist Frustration.

Dies führt zu einem weiteren Problem, welches John Gourville, Professor an der Harvard Business School, als den „9x-Effekt“ beschrieben hat:

  • Nutzer schätzen das, was sie kennen, dreimal höher ein als das, was sie durch eine Veränderung gewinnen können.
  • Designer auf der anderen Seite schätzen ihre Verbesserungen um den gleichen Faktor höher ein.

„Das Ergebnis ist ein Missverhältnis von neun zu eins oder 9x zwischen dem, was Innovatoren glauben, dass die Verbraucher es wünschen, und dem, was die Verbraucher wirklich wollen“, schrieb Gourville 2006 in einem Artikel für die Harvard Business Review.

Nutzer lieben Routinen

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, liebt Sicherheit und Routinen. Routinen vereinfachen unser Leben in vielen Bereichen, nehmen uns Entscheidungen ab oder erleichtern uns diese zumindest und sparen daher mentale Energie. Nutzer, die eine Anwendung regelmäßig nutzen oder die sogar zu „Power-Usern“ geworden sind, haben eine Vielzahl an Routinen entwickelt. Diese helfen den Nutzern, ihre Ziele schnell und effizient erledigen zu können.

Routinen hemmen allerdings auch den Mut und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren und Veränderungen anzunehmen. Denn etwas zu verändern, bedeutet, dass man seine Verhaltensweisen ändern, Routinen abwandeln und Gelerntes modifizieren, erweitern oder ganz ersetzen muss. Um dies zu tun, müssen Menschen motiviert sein.

Da für die Nutzer jedoch häufig unklar oder nicht nachvollziehbar ist, warum eine funktionale oder gestalterische Änderung vorgenommen wurde, deren Vorteil nicht klar oder erst mal gewöhnungsbedürftig ist, fehlt die Motivation, sich mit der Veränderung zu beschäftigen.

Nutzer mögen Vertrautes

Vertrautheit oder der sogenannte „Familiarity Bias“ (“Vertrautheits-Verzerrung”) ist ein Grund, warum Nutzer Veränderungen in Produkten nicht mögen bzw. ablehnen. Es bezieht sich auf ein kognitives Phänomen, bei dem sich Menschen für vertraute Optionen entscheiden, obwohl diese zu weniger günstigen Ergebnissen führen als verfügbare Alternativen.

Der „Familiarity Bias“ wurde erstmals von den israelischen Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman beschrieben und ist eine gut dokumentierte Heuristik (Abkürzung) unseres Gehirns, die uns dazu bringt, vertraute Erfahrungen zu bevorzugen.

Nutzer tendieren zum Status Quo

Ein weiterer psychologischer Effekt, der erstmals von den Psychologen William Samuelson und Richard Zeckhauser beschrieben wurde, ist der „Status-quo Bias“ („Status-Quo-Verzerrung“ oder „Tendenz zum Status Quo“). Dieser führt zu einer übermäßigen Bevorzugung des Status Quo gegenüber Veränderungen.

Anders ausgedrückt wollen Menschen, dass die Dinge ungefähr so bleiben, wie sie sind, auch wenn eine Änderung vorteilhaft wäre. Selbst wenn ein Redesign oder eine andere Produktanpassung letztendlich die User Experience verbessert oder die Usability erhöht, halten viele Nutzer (zunächst) lieber an dem fest, was sie kennen und gewohnt sind.

Nutzer bevorzugen, was sie bereits besitzen

Eine weitere Theorie, die erklärt, warum Nutzer Neues ablehnen, ist der “Endowment-Effekt” („Besitztums-Effekt”). Dieser wurde vom US-amerikanischen Ökonomen Richard Thaler beschrieben und besagt, dass Menschen das bevorzugen, was sie bereits besitzen, da sie Angst davor haben, etwas verlieren zu können – unabhängig von den Vorteilen, die sie aus dem Neuen ziehen könnten

Eine Studie aus dem Jahr 1990 hilft zu verstehen, wie der Endowment-Effekt funktioniert. Die Studie teilte die Teilnehmer in drei Gruppen ein:

  • In der ersten Gruppe hatten die Teilnehmer die Wahl zwischen zwei Gegenständen: einem Kaffeebecher oder einem Schokoriegel. Die Probanden entschieden sich mehr oder weniger gleich häufig für einen der beiden Gegenstände.
  • In der zweiten Gruppe erhielten alle Teilnehmer zunächst einen Kaffeebecher, den sie später auf Wunsch gegen einen Schokoriegel eintauschen durften.
  • Die dritte Gruppe bekam einen Schokoriegel und durfte ihn später gegen einen Kaffeebecher eintauschen.

Die Probanden der beiden letzten Gruppen verzichteten weitgehend darauf, ihre ursprünglichen Gegenstände gegen etwas Neues zu tauschen, obwohl – wie die erste Gruppe gezeigt hat – beide Gegenstände gleichwertig waren. Die Forscher folgerten aus diesem Experiment, dass Menschen, denen etwas Neues angeboten wird, sich eher für den Gegenstand entscheiden, den sie bereits besitzen.

Nutzer befürchten Kontrollverlust

Neben den zuvor genannten psychologischen Effekten (die sich zugegebenermaßen sehr ähneln und die alle dazu führen, dass Nutzer Routinen lieben), führt ein weiteres Problem zu einer hohen Abneigung von Änderungen: Kontrollverlust.

In vielen Fällen (so auch in den beiden Beispielen XING und StarMoney) können Nutzer die Änderungen nicht beeinflussen oder sich nicht bewusst dafür bzw. dagegen entscheiden. Dies führt vielfach zu einem wahrgenommenen Kontrollverlust und damit zu hoher Unzufriedenheit. Egal, ob eine Veränderung positiv ist oder Vorteile bringt: Wenn Menschen sich übergangen oder ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt fühlen, lehnen sie die Änderung häufig ab.

Akzeptanz für Veränderungen erzeugen

Dass Menschen zumeist eine Abneigung gegen Veränderungen haben, bedeutet natürlich nicht, dass wir nichts an unseren Produkten ändern und diese verbessern sollten. Allerdings sollten Produktmanager und UX-Designer die vorgestellten psychologischen Prinzipien kennen und verstehen, wie und warum Menschen auf Veränderungen reagieren.

Darüber hinaus gibt es verschiedene Ansätze und Strategien, mehr Akzeptanz für Veränderungen zu erzeugen und Nutzern den Umgang mit Veränderungen zu erleichtern.

Veränderung nicht als Selbstzweck

Eigentlich logisch, trotzdem erwähnenswert: Setzt Veränderungen am Produkt oder an Funktionen nur um, wenn sie

  • die Produktstrategie unterstützen,
  • neue Mehrwerte schaffen,
  • die Bedienbarkeit effizienter machen,
  • das Produkt anderweitig für die Nutzer verbessern
  • oder Fehler beheben.

Veränderungen, gerade auch hinsichtlich der visuellen Gestaltung, sollten nicht als Selbstzweck umgesetzt werden oder weil ein Designer, ein Produktmanager oder ein Stakeholder sie für besser oder hübscher hält.

Definiert daher vorab Ziele, was Ihr mit den Änderungen erreichen und wie ihr messen wollt, ob eure Änderungen erfolgreich sind. Welche KPIs und Metriken möchtet ihr verändern? Um welchen Faktor sollten sie verändert werden? Nur wenn ihr euch eine Benchmark setzt, wisst ihr später, ob ihr erfolgreich seid.

Veränderungen nutzerzentriert begleiten

Behaltet eure Nutzer im Veränderungsprozess im Fokus. Dies fängt damit an, dass ihr eure Nutzer und Zielgruppen kennen(lernen) und deren Bedürfnisse und Arbeitsweisen verstehen solltet. Beschreibt die verschiedenen Nutzergruppen zum Beispiel anhand von Personas und berücksichtigt, welche Effekte mögliche Veränderungen auf die Workflows oder die generelle User Experience der Nutzer bzw. Personas haben könnten.

Führt dazu möglichst frühzeitig und kontinuierlich Interviews, User-Tests oder Umfragen durch, um Probleme schnell zu identifizieren und die Zufriedenheit und Akzeptanz der Nutzer zu erheben. Erhebt mittels Umfragen oder KANO-Modell, welche Funktionen im Produkt für die Nutzer am wichtigsten sind. Analysiert anhand von Tracking-Daten, wie häufig Funktionen tatsächlich genutzt werden und berücksichtigt dies bei Veränderungen, z.B. in der Navigation oder in einzelnen Produktfunktionen.

Berücksichtigt insbesondere die unterschiedlichen Bedürfnisse von neuen vs. bestehenden Nutzern. So haben neue Nutzer sehr spezifische Anforderungen an Einstieg und Onboarding, während treue Bestandsnutzer oder Power-User ihre eigenen Workflows etabliert haben und daher möglichst wenig Änderungen wünschen.

Veränderungen für Nutzer vorab testbar machen

Falls möglich, lasst eure Nutzer die Änderungen vorab ausprobieren.

Microsoft ermöglicht es Nutzern, das neue Erscheinungsbild vorab zu testen.

 

Schafft ein Beta-Programm, in dem ihr interessierten Early Adoptern die Möglichkeit gebt, neue Funktionen frühzeitig auszuprobieren und euch Feedback zu geben. In StarMoney haben wir beispielsweise einen „In Kürze“-Bereich, in dem Nutzer neue Funktionen anschauen und testen, aber im Bedarfsfall auch wieder deaktivieren können. Wir ermöglichen es diesen Nutzern, uns ihren Eindruck zu schildern, Verbesserungen vorzuschlagen und erheben auch die Zufriedenheit mit den neuen Funktionen.

Baut euch einen Pool an interessierten Test-Nutzern auf, denen ihr Vorab-Versionen zur Verfügung stellen könnt. Nutzt Tools, wie beispielsweise TestFlight, um erste Versionen eurer Apps an die Test-Nutzer zu verteilen.

Ist euer Produkt webbasiert, könnt ihr auch mittels AB-Tests neue Funktionen an Teilgruppen eurer echten Nutzer ausliefern und deren Verhalten über Tracking-Daten beobachten, KPIs messen und auch gezielte Umfragen schalten.

Das Feedback der Nutzer wird umso besser, je realistischer die Nutzung der veränderten Funktionen oder neuen Oberfläche ist. Ein Usability-Test mittels Prototyp ist zwar ein guter erster Schritt, echte Nutzungsdaten geben euch allerdings validere Einblicke in das tatsächliche Verhalten.

Nutzern die Auswahl lassen

Damit Nutzer das Gefühl bekommen, die Kontrolle zu bewahren, lasst ihnen für eine Übergangszeit die Wahl. Bietet – zumindest anfänglich – die Möglichkeit an, zurück zur alten Version zu wechseln oder die neue Version temporär auszuprobieren.

Privatbank erlaubt es Nutzern, zur alten Bedienoberfläche zurückzukehren – und frag Nutzer die zurückkehren möchten, was die Gründe hierfür sind.

 

Auch wenn ihr irgendwann den Schalter vollständig umlegen müsst (denn die Wartung von alter und neuer Funktionsweise macht langfristig aus Kostengründen keinen Sinn), so könnt ihr in der Zwischenzeit erheben, warum Nutzer bei der alten Version geblieben sind und was ihnen an der neuen, überarbeiteten Funktion ggf. noch fehlt.

Inkrementelle Veränderungen bevorzugen

Ein komplettes Redesign ist häufig nicht nötig und aufgrund der zuvor beschriebenen psychologischen Effekte auch nicht empfehlenswert. Falls möglich, nehmt stattdessen lieber häufiger kleinere Änderungen vor, die keine zu großen Umstellungen im Verhalten der Nutzer erforderlich machen. Liefert die Änderungen, wo sinnvoll, inkrementell aus, statt alles in einem Big-Bang-Release zu ändern.

Facebook macht dies beispielsweise regelmäßig. Dort sind Änderungen oftmals sehr nuanciert, sodass die Nutzer sie nicht einmal bewusst wahrnehmen. Trotzdem wird jede Veränderung getestet und deren Effekte bewertet. Denn Facebook hat Milliarden Nutzer und jeder negative Effekt kostet das Unternehmen gleich ziemlich viel Geld.

Veränderungen kommunizieren und schmackhaft machen

Habt ihr Änderungen im Produkt geplant, die einen größeren Einfluss auf die User Experience oder die Bedienung von Funktionen haben, dann kommuniziert diese frühzeitig. Bevor Nutzer von den Änderungen negativ überrascht werden, solltet ihr Erwartungsmanagement betreiben und darüber informieren, was sich verändern wird. Idealerweise präsentiert ihr die Änderungen dabei so interessant, dass die Nutzer neugierig werden und voller Vorfreude darauf warten – so wie Apple es beispielsweise bei neuen Produktversionen und iOS-Updates schafft.

Kommuniziert die Änderungen per Newsletter an die Nutzer, schreibt einen Blog-Post oder einen Artikel innerhalb eures Support-Bereichs oder veröffentlicht ggf. auch eine Pressemitteilung dazu.

Falls möglich, erläutert die Gründe für die Veränderungen und euer Vorgehen. Zeigt den Nutzern, dass ihr nicht im stillen Kämmerlein oder im Elfenbeinturm gesessen und euch überlegt habt, etwas zu verändern. Erklärt, dass ihr Nutzer in den Prozess eingebunden und die Veränderungen vorab evaluiert habt (sofern dies wirklich geschehen ist). Dies wird zwar nicht jeden Kritiker beruhigen, zeugt jedoch von eurem professionellen Vorgehen.

“People need to feel reassured and supported. You need to provide assistance and to guide them through the transition phase. Be there for your users, support and explain the nature of the changes, reassure them about how to do it.” – Ricardo Ortega

Weist Nutzer innerhalb des Produktes auf die Änderungen hin, zum Beispiel über eine „Was ist neu“-Tour, wie Microsoft es innerhalb der Office-Produkte macht.

Microsoft kommuniziert innerhalb der Produkte, wenn es Änderungen gibt.

Präsentiert die Änderungen dabei nicht nur rein textuell, sondern erstellt auch Video-Tutorials, in denen ihr Schritt für Schritt zeigt, was genau die Änderungen sind oder wie die überarbeiteten Funktionen zu bedienen sind.

Wenn ihr ganz transparent sein wollt, dann veröffentlicht vielleicht sogar eure Product Roadmap in einer für Außenstehende aufbereiteten Version. So könnt ihr Nutzern und Interessierten frühzeitig aufzeigen, welche Änderungen noch geplant sind.

Abwarten und in Geduld üben

Habt ihr die Änderungen veröffentlicht, lasst euch von negativem Feedback und von einem kleineren „Shitstorm“ nicht gleich aus der Ruhe bringen – schließlich habt ihr die oben genannten Punkte alle berücksichtigt und seid gut vorbereitet. Habt etwas Geduld und werdet nicht gleich aktionistisch. In den meisten Fällen glätten sich die Wogen und die Kritik ebbt nach ein paar Wochen ab.

Durchschnittliche Bewertung einer bekannten deutschen App nach Release eines größeren Redesigns. Nach etwa zwei Monaten hatten sich die Nutzer an die Änderungen gewöhnt und die App wurde wieder positiv bewertet.

 

Nach und nach gewöhnen sich immer mehr Nutzer an die Änderungen und ziehen sie irgendwann sogar der vorherigen Version vor.

“The good news is that while people don’t like changes and redesigns, they get used to it. First weeks you will meet a lot of bad reviews, the fall of the rating. But they will return to the old place and can be even better if your redesign was really good. Remember that any system can’t change immediately, it needs time for it.”
Vitaly Dulenko

Wertet das Feedback, welches ihr von den Nutzern über die verschiedenen Kanäle erhaltet, aus und arbeitet die Knackpunkte heraus. Konstruktive und nachvollziehbare Kritikpunkte, die von einer relevanten Anzahl von Nutzern (in Relation zu eurer gesamten Nutzerbasis) genannt werden, solltet ihr in der Weiterentwicklung eures Produktes berücksichtigen. “Starke” Einzelmeinungen solltet ihr euch anschauen, aber im Zweifel verwerfen, falls sie nicht für eine größere Nutzerschaft relevant sind. Unkonstruktive Kommentare, Beschimpfungen oder gar Anfeindungen ignoriert indes einfach und lasst euch davon nicht demotivieren.

Schaut euch nicht nur das Feedback eurer Nutzer an, sondern wertet auch deren Verhalten nach ein bis zwei Wochen, einem Monat und darüber hinaus aus. Hat sich die Aktivität gesteigert oder ist sie gesunken? Wird eine neue bzw. geänderte Funktion häufiger oder weniger häufig genutzt als zuvor? Wie haben sich eure KPIs und Metriken entwickelt? Gebt den Nutzern etwas Zeit, sich an die Veränderungen zu gewöhnen und damit zu arbeiten.

Betreibt aktives Stakeholder-Management und helft eurem Management und Kollegen zu verstehen, welche psychologischen Mechanismen eure Nutzer gerade umtreiben und wie ihr damit umzugehen denkt. Gerade den Kollegen im Support, welche die negativen Kommentare und Kritikpunkte von unzufriedenen Nutzern am stärksten abbekommen, solltet ihr viel Verständnis entgegenbringen, ein offenes Ohr anbieten und sie aufklären, was eure Strategie ist.

Sammelt Daten und wertet sie in Ruhe aus. Entscheidet dann aufgrund einer fundierten Basis, ob die Änderungen erfolgreich oder ein Fehlschlag waren. Falls Letzteres wirklich zutrifft, müsst ihr überlegen, wie ihr weiter vorgeht. Wollt ihr alles zurückdrehen (mit allen Konsequenzen) oder könnt ihr, basierend auf den Rückmeldungen, weitere Änderungen vornehmen, die doch noch zu einer Verbesserung führen?

“Having users complain about a redesign doesn’t necessarily mean that it’s bad; if the new design actually has better usability, people will eventually grow to like it. Customer complaints are thus not a reason to avoid all redesigns; they’re simply a reason to avoid changing the design purely to stay fresh.”
Jakob Nielsen

Fazit

Veränderungen in Produkten sind wichtig und notwendig. Ohne Weiterentwicklung und kontinuierliche Optimierung laufen wir Gefahr, dass unsere Produkte aus der Zeit fallen, nicht mehr relevant sind oder Wettbewerber bessere Lösungen bieten, sodass Kunden und Nutzer abwandern.

Allerdings erfordern Veränderungen von den Nutzern immer ein Umdenken. Routinen müssen verlassen, Vertrautes muss aufgegeben und neues Wissen angeeignet werden. Dies alles erfordert Zeit und kognitiven Aufwand, was dazu führt, dass Veränderungen häufig auf Ablehnung stoßen.

Das sollte uns aber nicht davon abhalten, nach besseren Lösungen zu streben. Wichtig ist, dass man die psychologischen Mechanismen, die zur Ablehnung führen, kennt, sie versteht und ihnen entgegenwirkt.

Daher müssen Veränderungen gut vorbereitet werden. Dazu gehören eine nutzerzentrierte Vorgehensweise, eine gute Kommunikation, ein konstruktiver Umgang mit Feedback – und zu guter Letzt auch ein dickes Fell und etwas Geduld!

Über Rainer Gibbert

Rainer ist Produktmanager mit großer Begeisterung für gute, Kunden-orientierte und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte. Derzeit leitet er bei der Star Finanz GmbH in Hamburg den StarMoney Bereich und verantwortet dort die Produktentwicklung. Zuvor war Rainer u.a. bei REBELLE als Head of Product, bei Fielmann Ventures als Senior Produktmanager sowie bei OTTO als Produktmanager im E-Commerce Innovation Center tätig und leitete das User Insights Team bei der XING AG.

Ein Kommentar

  1. Ricardo S. Tutti

    Ich finde, es ist interessant zu sehen, wie Nutzer auf Produktänderungen reagieren, selbst wenn diese Änderungen im Sinne der Nutzerfreundlichkeit und der Verbesserung des Produkts vorgenommen werden. Es zeigt, wie wichtig die Kommunikation mit den Nutzern ist, um ihnen die Gründe für die Änderungen zu erklären und ihnen die Vorteile aufzuzeigen. Manchmal sind anfängliche Widerstände nur vorübergehend, wie die Erfahrungen von StarMoney zeigen.


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