UX-Design und Inklusion: Bedürfnisorientierung statt Ageism - Wie sich UX-Design älteren Menschen anpassen muss

„Mein Enkel kann das machen, wenn er wieder zu Besuch kommt.“ – So oder so ähnlich reagieren viele Großeltern oftmals, wenn es Probleme mit dem heimischen PC oder dem Smartphone gibt. Zu schnell schreitet die Entwicklung der modernen Technik voran, zu kompliziert scheinen die ganzen Feinheiten, die es zu beachten gilt. Doch während sich das soziale Leben für viele Menschen immer stärker in der digitalen Welt abspielt, droht eine technikscheue Generation Plus den Anschluss zu verlieren und außen vor zu bleiben. Bei der Konzeption moderner Systeme und Interfaces muss deshalb auch gezielt auf die Bedürfnisse betagterer Nutzer:innen eingegangen werden.

UX-Design ist in der gesellschaftlichen Verantwortung, nicht nur für die breite jüngere Masse zu konstruieren, sondern auch den Anforderungen einer älteren und mitunter beeinträchtigten Zielgruppe gerecht zu werden. Um Ageism – also die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Alters – zu vermeiden, ist eine Reihe von Aspekten zu berücksichtigen, die die Funktionalität oftmals über das Design stellen.

Die digitale Komfortzone: Anpassungen an visuelle und motorische Faktoren

Bunte Farben, Pop-up Menüs und GIFs – was für viele Nutzer:innen zum Alltag in der Onlinewelt gehört, kann für ältere Mitmenschen stellenweise zum Problem werden. Zu kleine Schriftgrößen, starke Kontraste und ein allgemein überladen wirkender Bildschirm können Personen überfordern. Besonders, wenn sie altersbedingt nicht mehr ihre 100-prozentige Sehkraft zur Verfügung haben. Dass diese mit zunehmender Lebenserfahrung nachlässt, ist unlängst bekannt, findet jedoch trotzdem im UX-Design noch zu wenig Berücksichtigung.

Hier können auf die Sehfähigkeit der Zielgruppe angepasste Eingabefelder, etwa in bestimmten Kontrasten oder in entsprechender Größe, entgegenwirken. Auch das Design darf nicht zu komplex sein, da ältere Individuen ansonsten schnell aufgrund einer optischen Überforderung abgeschreckt werden können.

Neben visuellen Einschränkungen muss altersgerechtes UX-Design zudem eine mögliche Verminderung der Motorik berücksichtigen. Krankheiten wie zum Beispiel Arthrose, Schlaganfälle oder Parkinson erschweren es Betroffenen, selbst vermeintlich bedienerfreundliche Touchscreens zu handhaben.

Wie hält eine Person ihr Endgerät? Wie weit ist die Buttonposition von der Hand entfernt? Wie viel Bewegungsenergie muss mit der Maus aufgewendet werden, um den Cursor auf dem Screen von A nach B zu bewegen? Diese Fragen sind essenziell für motorisch eingeschränkte Menschen. So kann auch am Handy ein gut platzierter Button, eine wesentliche Erleichterung darstellen, wenn dadurch die Distanz zwischen Hand und Display verringert wird. Die Anpassung der Größe einer Schaltfläche kann nicht nur die visuelle Einschränkung abdecken, sondern auch dabei unterstützen, den Button überhaupt erst zu treffen. Zwar werden diese Aspekte auch bei anderen Zielgruppen einkalkuliert, allerdings vorwiegend zugunsten des Komforts, den die Benutzung mit sich bringen soll. Für ältere Nutzer:innen steht jedoch die generelle Möglichkeit zur Steuerung dieser Systeme im Vordergrund. Kleinigkeiten, wie die Veränderung einer Button-Position, machen da einen enormen Unterschied.

Mit Herz und Hirn: Kognitive Veränderungen respektieren

Doch nicht nur körperliche und visuelle Grenzen müssen bedacht werden: Auch die kognitiven Fähigkeiten älterer Personen erfordern Einfühlungsvermögen von UX-Designer:innen. Mit zunehmendem Alter lässt die geistige Leistung nach und somit auch die Belastbarkeit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses. Daher muss auch der Cognitive Load – also die kognitive Belastung beim Lernen und der erforderliche Aufwand zur Informationsverarbeitung – in das Design einbezogen werden.

Eine geringere Aufmerksamkeitsspanne sowie schnellere Müdigkeitserscheinungen führen dazu, dass insbesondere eine nicht standardisierte Ausdrucksweise als zu abstrakt wahrgenommen werden kann. Besonders in themenspezifischen Bereichen, etwa auf Webseiten von Krankenkassen oder Versicherungen, kann ein zu starker Fachjargon schnell fordernd werden und Unwohlsein bei älteren Menschen auslösen. Daher ist eine vereinfachte Sprache hier zielführender und fördert das Selbstbewusstsein, selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können.

Interface für Senioren © Creative Navy

Die Umsetzung dieses bedürfnisorientierten UX-Designs stellt Entwickler:innen vor verschiedene Herausforderungen: Mitunter müssen allgemein nachvollziehbare Zusammenhänge, wie zum Beispiel beim Online-Shopping, für die ältere Zielgruppe angepasst werden. Ein Foto, unter dem ein Preis und ein Warenkorb-Icon abgebildet ist, bedarf in der Regel keiner weiteren Erläuterungen, da der Kontext eindeutig ist. Betagtere Personen verstehen das erforderliche Prozedere eines Checkouts fallweise jedoch nicht und können mit der Bildsprache nichts anfangen. Hier können UX-Designer:innen Erläuterungen an die Abbildungen anhängen, sodass nachvollziehbarer wird, was gefordert ist. Anstatt der Bezeichnung „Warenkorb“ kann mit der konkreten Anweisung „in den Warenkorb“ gearbeitet werden. Auch Interfaces mit verschiedenen Informationen und diversen Navigationsmöglichkeiten sind für Generation Plus schwer händelbar. Daher darf jede Page einer Webseite nur ein Ziel und damit nur einen Aktionspunkt haben, sodass ältere Personen nachvollziehen können, was von ihnen gefordert wird. So können sie sich auf ein einziges Thema konzentrieren und frei entscheiden: „Das will ich machen oder nicht“.

Technophobie oder die Angst, das Internet zu zerstören

Gefühle machen alles komplizierter und so muss UX-Design auch die emotionalen Faktoren im Umgang mit digitalen Systemen bedenken. Jeder Mensch kennt die Angst davor, Fehler zu machen – und das ändert sich auch mit zunehmendem Alter nicht. Allein die Entwicklungen der letzten 50 Jahre zeigen die rasante Geschwindigkeit, mit der die Digitalisierung voranschreitet. Ihre weitreichenden Folgen können Senior:innen oftmals nicht richtig einschätzen und so entsteht im Umgang mit modernen Systemen schnell die Sorge „das Internet kaputt zu machen“. Diese Unsicherheit macht die Generation Plus nicht zuletzt angreifbarer für Phishing sowie Betrugsmaschen und so wird ihr Unbehagen zusätzlich gestärkt.

Ob Genügsamkeit oder Sorgen vor einer komplizierten Technik: Viele ältere Nutzer:innen haben mit höherer Wahrscheinlichkeit ein in die Jahre gekommenes Modell. Oft ist zudem die Browserversion auf ihrem Endgerät nicht aktualisiert. Üblicherweise wird das Design – mit Fokus auf die User-Experience – so umgesetzt, dass eine Mindestversion erforderlich ist. Entwickler erwarten von ihren Kund:innen einfach, dass ihre Software aktualisiert ist. Doch was für technikaffine Generationen selbstverständlich ist, greift bei älteren Personen nicht. Daher sollte bei der Design-Entwicklung auch immer einkalkuliert werden, dass das System auch auf älteren Versionen funktioniert.

Fazit: Ältere Menschen können Technik. Wenn wir sie unterstützen

All diese Faktoren spielen bei der Umsetzung von Anti-Ageism eine erhebliche Rolle und verändern die Prioritäten eines inklusiv gedachten UX-Designs. Was für 30- oder 40-jährige Personen funktioniert, lässt sich schlichtweg nicht auf ältere Leute übertragen. Natürlich gibt es Ausnahmen und so sind auch in der Generation Plus eine Reihe Menschen vertreten, die ohne Probleme mit Tablett, PC und Smart TV zurechtkommen. Doch diejenigen unter den Älteren, die eben nicht mehr uneingeschränkt technisches Wissen erlangen können, dürfen nicht als Zielgruppe vernachlässigt werden.

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Über Dennis Lenard

Dennis Lenard ist Gründer sowie Geschäftsführer von Creative Navy, einer der ersten UX-Design-Agenturen weltweit, die auf Basis wissenschaftlicher Daten arbeiten. Neben den Kognitionswissenschaften studierte Lenard auch Europäisches Recht, visuelle Kommunikation und Wirtschaft. Zusammen mit seinem Team aus 15 Expert:innen arbeitete der Produktarchitekt unter anderem für namenhafte Kund:innen wie Unicef, UNO, eToro, PwC, Miele, Ford oder General Motors.

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