UX-Design und Inklusion: Wie öffentliche Webseiten und Portale inklusiv gestaltet werden können

Wer einen neuen Reisepass beantragen, seinen Wohnsitz anmelden oder sich über verschiedene Steuern informieren möchte, landet unweigerlich auf einer Webseite der deutschen Behörden oder Ämter. In der Regel sehen die Landingpages aus, als wären sie seit Einführung des Internets nicht mehr überarbeitet worden. Textwüsten reihen sich aneinander, während die gesuchten Informationen nur schwerlich über mindestens drei Link-Weiterleitungen aufzufinden sind. Am Ziel angekommen, ergießt sich ein Schwall aus Fachbegriffen über die Lesenden. Wie sollen sich da beispielsweise Zugereiste, die der deutschen Sprache möglicherweise nur bedingt mächtig sind, zurechtfinden, wenn sie nach Einreisebestimmungen suchen?

Öffentliche Portale stehen vor der Herausforderung, verschiedensten Nutzer:innen-Gruppen den Zugang zu Informationen zu ermöglichen: Älteren, Tourist:innen, Einheimischen und denjenigen, die sich über ein komplett neues Themenfeld erkundigen möchten. Dahingehend ist es unerlässlich, gewisse Design-Prinzipien bei der Webseiten-Erstellung zu erfüllen, um alle Parteien bestmöglich zu inkludieren. Zwar gibt es bereits erste Ansätze, öffentliche Portale barrierefrei und leicht verständlich aufzusetzen, allerdings ist dieser Prozess in Großbritannien bereits deutlich weiter fortgeschritten. So sollten die in UK 2012 eingeführten Government Design Principles auch in Deutschland unlängst eine Notwendigkeit darstellen.

Unnötig komplizierte Webseiten erschweren den Zugang für diverse Nutzer:innen © Andrea Piacquadio

Vorreiternation Großbritannien: Design-Prinzipien seit 2011

Wer schon einmal eine Landingpage der deutschen Behörden aufgerufen hat, wird das folgende Szenario wohl sehr gut vor dem inneren Auge sehen: Unzählige Links, versteckt in einem Meer aus Fachsprech, leiten Suchende von einer Seite zur nächsten. Ist auf einer Page nicht die gewünschte Information zu finden, muss der Rückwärtspfeil etliche Male betätigt werden, bevor man wieder in der Ausgangsposition angelangt ist. Eine gezielte Informationssuche ist in den meisten Fällen schlichtweg nicht möglich. Die zum Download bereitgestellten Dokumente sind zusätzlich dazu zwar für die optimale Verarbeitung von Behördenseite konzipiert, nicht aber für Endverbraucher:innen, welche vorab mit den Unterlagen arbeiten müssen. Deutschland muss sich stärker auf ein sogenanntes „User Centered Design“ konzentrieren, damit eine verständliche Darstellung und Aufbereitung von Informationen sichergestellt wird. Erste Ansätze hierzu existieren seit 2017 und sind im „Online-Zugangsgesetz“ festgehalten. Dieses Gesetz gibt vor, wie öffentliche Online-Systeme aufgebaut sein müssen. Doch hat Deutschland noch einiges mehr zu lernen, wie ein Blick auf das Nachbarland Großbritannien verrät.

Bereits 2011 unternahmen die Engländer:innen im Rahmen der „Government Digital Services“ erste Schritte, Webseiten nutzerfreundlich aufzusetzen. Hierzu wurden alle Design-Maßnahmen schriftlich festgehalten, derer es bedarf, um ein möglichst barrierefreies Portal zu erstellen. Ziel war es, sich „step-by-step“ an konkrete Vorgaben heranzuarbeiten, um aus diesen dann konkrete Richtlinien zu erstellen. Und genauso verhielt es sich schließlich auch: Nur ein Jahr später, 2012, gründeten sich die Government Design Principles, welche seither regelmäßig aktualisiert werden. Die insgesamt zehn Prinzipien gründen sich aus den vorab genannten ersten Ansätzen sowie weiterer Erkenntnisse, die während der Webseiten-Erstellung gewonnen werden konnten. Heute richten sich Designer:innen aus Großbritannien beim Aufsetzen öffentlicher Portale nach eben diesen Richtlinien.

Die Government Design Principles: Eine Zusammenfassung

Nutzergruppen stehen im Fokus, jederzeit

Folgendes sollte sich immer wieder vor Augen geführt werden: Diejenigen, die auf die behördlichen Webseiten angewiesen sind, sind in der Regel auch die, denen die Nutzung am schwersten fällt. Mal, weil sie ihr Problem gar nicht konkretisieren können, mal, weil sie womöglich der Sprache nicht zwingend mächtig sind. Daher ist es bei der Konzipierung umso wichtiger, komplexe Begriffe oder Strukturen auf eine leicht verständliche Ebene herunterzubrechen. Um dem gerecht zu werden, betreiben die Behörden vorab eine umfangreiche Nutzerforschung, denn grundsätzlich sollte das Design einer behördlichen Webseite nur die zweite Geige spielen.

Diese Untersuchung und anschließende Umsetzung kann zuweilen sehr zeitintensiv sein, da sich die Beauftragten mit dem Fluch des Wissens auseinandersetzen müssen. Es bedeutet, dass vermeintlich selbsterklärende Formulierungen für andere Nutzergruppen womöglich dennoch unverständlich bleiben. Deshalb ist dieser Prozess unerlässlich, um alle Betroffenen anzusprechen. Außerdem wichtig zu betonen: Praktisches muss nicht schön sein, sondern inklusiv, lesbar und verständlich! Auch im Online-Zugangsgesetz ist dieser Ansatz bereits verankert, allerdings noch nicht im selben konkreten Maße.

Nutzen, was funktioniert – Optimierung durch Analysen, Beobachtungen und Austausch

Warum sollten Webseiten-Ersteller:innen jedes Mal das Rad neu erfinden, wenn es doch die Möglichkeit gibt, ein bewährtes System wiederzuverwenden? Hintergrund dieser Überlegung ist vor allem, dass die Datenübertragung und -kommunikation auf einer funktionierenden Webseite bereits stabil und zentralisiert funktioniert. Auch bringt ein einheitliches Design verschiedener behördlicher Plattformen eine gewisse Konsistenz. So können sich die Hilfesuchenden schneller an eine Struktur gewöhnen und ihr Suchverhalten auf jeder Seite anwenden. Statt dieses Konstrukt also komplett neu aufzusetzen, kann die „Vorlage“ für eine weitere Page verwendet und daraufhin das User-Interface-Design optimiert werden. Dabei müssen die Entwickler:innen den Kontext der Webseite verstehen und sich folgende Fragen stellen: Wann und wie werden die Dienste genutzt? Über welches Endgerät wird die Page aufgerufen? Sind die Nutzer:innen dabei in der Bibliothek oder zu Hause? Antworten auf diese Überlegungen gibt die vorab durchgeführte Forschung, das UX-Design sollte sich daran entlanghangeln.

Zudem sollte nicht nur das bestehende System recycelt, sondern auch beobachtet werden. Auf diese Weise lässt sich am ehesten herausfinden, wie existierende Dienste genutzt und weiter verbessert werden können. Und damit auch, wie sich derartige User-Prozesse auf einem neuen Portal integrieren lassen. Dieser Vorgang ist mit der Live-Schaltung einer Webseite nicht abgeschlossen, sondern sollte auch während der Laufzeit immer wieder analysiert werden. Nur aus kleinen Fehlern können Konsequenzen gezogen werden, ohne dass das gesamte Projekt dem Untergang geweiht ist. Funktionen sollten der Webseite hinzugefügt oder gelöscht, das Feedback von Nutzer:innen ernstgenommen und umgesetzt werden. Und sobald ein Vorgang optimiert wurde, wird der nächste in Angriff genommen. Immer und immer wieder.

Eine weitere Maßnahme, Prozesse auszubessern, besteht im Austausch mit anderen Konzipierenden und Entwickler:innen. Unabhängig davon, ob Misserfolge, Entwürfe, Codes oder wagemutige Ideen miteinander geteilt werden, alle Erfahrungen wirken zum Guten. Denn das gemeinsame Ziel sollte sein, Der Gesellschaft die benötigten Dienste im Rahmen der öffentlich zugänglichen Räume so nutzerorientiert wie nur möglich aufzubereiten.

Fazit: Nutzerbedürfnisse haben Vorrang vor dem Webseiten-Design

Meist klingt ein Vorhaben einfacher, als es zum Schluss tatsächlich ist. Und so ist auch die Vorstellung davon, öffentliche Webseiten inklusiv und leicht verständlich aufzubereiten, eine ganz andere als die Realität es spiegelt. Zu viele Fachbegriffe erschweren bis dato noch den intuitiven Umgang, von der Verständlichkeit des Geschriebenen einmal komplett abgesehen. Es bedarf noch einiges an Arbeit, wenn es darum geht, das Online-Zugangsgesetz allgemeingültig aufzusetzen.

Doch ein geeignetes Vorzeigebeispiel lässt sich nicht allzu weit von den europäischen Grenzen finden: Die Government Design Principles in Großbritannien verlangen vor allem, das Design nutzorientiert statt ästhetisch aufzusetzen, intensive Forschung vorab zu betreiben und den Fluch des Wissens bestmöglich zu brechen. Am ehesten funktioniert das, indem auf bewährte Layouts und Webseiten zurückgegriffen wird, um deren Infrastruktur weiter auszubauen und zu optimieren. Auf diese Weise werden sehr große Teile der Gesellschaft bei der Erstellung einer Landingpage berücksichtigt. Ein kontinuierliches Beobachten der Prozesse und Anwendungen ist erforderlich, damit auch wirklich alle Bedürfnisse der Zielgruppen erfüllt werden können.

 

Avatar-Foto

Über Dennis Lenard

Dennis Lenard ist Gründer sowie Geschäftsführer von Creative Navy, einer der ersten UX-Design-Agenturen weltweit, die auf Basis wissenschaftlicher Daten arbeiten. Neben den Kognitionswissenschaften studierte Lenard auch Europäisches Recht, visuelle Kommunikation und Wirtschaft. Zusammen mit seinem Team aus 15 Expert:innen arbeitete der Produktarchitekt unter anderem für namenhafte Kund:innen wie Unicef, UNO, eToro, PwC, Miele, Ford oder General Motors.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit Absenden des Kommentars stimmst Du der Speicherung deiner persönlichen Daten (Name, eMail-Adresse, Webseite und Nachricht) durch uns bis auf Widerruf zu. Zur Vermeidung von Spam und zur rechtlichen Absicherung wird deine IP für 2 Monate gespeichert. Ebenfalls zur Vermeidung von Spam werden diese Daten einmalig an Server der Firma Automattic inc. geschickt. Zur Darstellung eines Nutzerbildes wird die eMail-Adresse im pseudonymisierter Form an Automattic inc. übermittelt. Wenn du einen oder beide Haken für die eMail-Benachrichtigungen setzt, wird deine eMail-Adresse bei Automattic inc. gespeichert. (Datenschutzerklärung)

Du hast noch viel mehr zu erzählen?

Dann schreib doch einen eigenen Artikel auf produktbezogen.

Artikel vorschlagen →