Rollenverständnis als Produktmanager: Der unterschätzte Erfolgsfaktor

Das spannende am Job des Produktmanagers ist seine Vielfalt und das große Aufgabenspektrum. Keine Position ist wie die andere. Produktmanager arbeiten an der Schnittstelle von zig anderen Abteilungen, haben verschiedene Schwerpunkte und begleiten ihr Baby über den kompletten Prozess von der Idee bis zum Launch.

Gleichzeitig ist die Bandbreite des Produktmanagements eine der größten Herausforderungen. Mangels einer allgemein gültigen Definition muss sich jeder Produktmanager die Frage beantworten: Was ist eigentlich genau meine Rolle? Was wird von mir erwartet, was sind meine wichtigsten Ziele? Für den Softwareentwickler sind diese Fragen leicht zu beantworten: Software möglichst schnell und fehlerfrei entwickeln. Für Produktmanager ist die Antwort weit weniger eindeutig und einfach.

Das klingt jetzt vielleicht nach einer Nebensache, nach einer theoretischen Diskussion. Was aber, wenn ich behaupte, dass ein klares Verständnis der eigenen Rolle einer der wichtigsten und zugleich meist unterschätzten Erfolgsfaktoren für Produktmanager ist? In diesem Artikel erfahrt ihr, warum das so ist.

Warum das mit dem Rollenverständnis so schwierig ist

Haben Produktmanager wirklich Probleme, die eigene Rolle zu verstehen? Einfache Antwort: Ja! In einer Umfrage des Product Management Festival sagten 35% der befragten Produktmanager, dass ein unklares Verständnis ihrer Rolle im Unternehmen (“lack of role clarity”) eine ihrer drei größten Herausforderungen sei. Ganz ohne repräsentative Umfrage mache ich im Gespräch mit Produktmanagern regelmäßig die gleiche Erfahrung.

Es gibt keinen Industriestandard

Ein Teil des Problems ist der fehlende Industriestandard für die Rolle des Produktmanagers. Jedes Unternehmen interpretiert sie anders, teilweise haben Produktmanager trotz des gleich lautenden Titels innerhalb eines Unternehmens komplett andere Aufgabengebiete. Und dass Produktmanager für Versicherungstarife, Werkzeugmaschinen und E-Commerce-Software kaum vergleichbar sind ist leicht zu verstehen.

Es gibt zahlreiche Rollen im Produktmanagement

Zum zweiten existieren innerhalb des Produktmanagement zahlreiche Rollen, die mal mehr mal weniger klar durch verschiedene Job-Titel unterschieden werden. Jede dieser Rollen ist entweder eher operativ oder strategisch ausgerichtet, entweder mit Schwerpunkt auf den technischen (produktspezifischen) oder Business-Aspekten.

Dazu gehören zum Beispiel:

  • Produktmanager
  • Strategischer Produktmanager
  • Technischer Produktmanager
  • Product Owner
  • Produktmarketingmanager
  • Product Line / Produktportfoliomanager
  • und weitere…

Hier findest du eine ausführliche Beschreibung, was sich hinter 10 Job-Titeln im Produktmanagement versteckt. Selbst innerhalb diesen Rollen gibt es große Unterschiede. Wie genau die eigene Rolle definiert ist und definiert sein sollte, kann nur jeder für sich selbst beantworten. Dazu gebe ich am Schluss einige Tipps. Ob Technik oder Business im Vordergrund stehen soll, ist Geschmackssache. Wenn ihr Karriere machen wollt, müsst ihr jedoch immer so strategisch wie möglich arbeiten. Wie euch dieses Rollenverständnis erfolgreicher macht, erkläre ich jetzt.

Wie ein klares Rollenverständnis Produktmanager weiterbringt

Ein klares Rollenverständnis ist wie eine ausführliche, treffende Stellenbeschreibung im Kopf. Die Klarheit über die eigenen Rolle wirkt sich positiv auf alle Aufgaben und Entscheidungen eines Produktmanagers aus und hilft ihm, schneller voranzukommen. Das sind die Effekte:

Die echten Ziele erkennen und erreichen

Die eigene Rolle zu kennen heißt, die eigenen Ziele zu kennen. Eure Rolle als Produktmanager wird vor allem dadurch bestimmt, wie eure Vorgesetzten und Management sie verstehen. Sie sehen euch in einer bestimmten Verantwortung und erwarten von euch bestimmte Ergebnisse, in Form von Kennzahlen oder erreichten Meilensteinen.

Das Management beurteilt Produktmanager nicht danach, wie viele Tickets sie abarbeiten, sondern wie hoch ihr Beitrag zu den Unternehmenszielen ist. Jeder Produktmanager muss sich fragen: Kenne ich die in mich gesetzten Erwartungen? Weiß ich konkret, woran meine Erfolge gemessen werden? Kenne ich die relevanten KPIs? Und habe ich selbst für mich meine Ziele für mein Produkt und für mich persönlich definiert? Ohne seine Ziele genau zu kennen, kann man nicht daran arbeiten und wird sie nie erreichen.

Die Kernaufgaben identifizieren und priorisieren

Ausgehend von den Zielen müssen Produktmanager erkennen, was ihre Hauptaufgaben sind. Damit meine ich nicht die Aufgaben, die am meisten Zeit einnehmen  – sondern die, die sie ihren definierten Zielen näherbringen und die für ihre Rolle erfolgskritisch sind.

Ohne ein klares Rollenverständnis geraten Produktmanager leicht in die Tretmühle des operativen Geschäfts: Sie beantworten Anfragen, arbeiten Tickets ab, unterstützen den Vertrieb und nehmen an allen denkbaren Meetings teil. Produktmanager sollten strategischen Aufgaben immer Vorrang geben! Sie liefern den größten Wertbeitrag zum Produkt- und Unternehmenserfolg. Nur wenn Produktmanager ihre Kernaufgaben kennen, können sie ihnen im Kalender und im Kopf Priorität geben uns sich auf sie konzentrieren.

Aufgaben delegieren

Sich auf die Kernaufgaben zu konzentrieren, bedeutet gleichzeitig, andere Aufgaben zu delegieren. Wer seine eigene Rolle klar versteht, weiß, welche Aufgaben er nicht selbst erledigen sollte – weil sie für ihn keine Priorität haben oder weil er dazu gar nicht ausreichend qualifiziert ist. Aufgaben der IT, des Marketings oder des Einkauf gehören in die jeweiligen Abteilungen.

Aufgaben zu delegieren und Projekte mit vielen Beteiligten zu koordinieren, ohne alles selbst zu machen, ist nicht einfach. “Dringende” Anfragen anderer Abteilungen abzuwehren ebenso. Produktmanager brauchen dafür starke Kommunikations- und Führungsfähigkeiten und Durchsetzungskraft. Doch wenn sie ihre Rolle kennen und wissen, dass das von ihnen erwartet wird, müssen sie diese Herausforderung annehmen.

Unterstützung bekommen

Im Vertrieb wird der Produktmanager als “Erklärbär” in Verkaufsgesprächen angesehen, im Marketing als Lieferant für die Produktunterlagen, in der IT als Second-Level-Support und der Rest des Unternehmens ist sich unsicher, was das Produktmanagement überhaupt macht. Wie sollen Produktmanager unter diesen Umständen Respekt und Unterstützung bekommen?

Um anderen klar zu machen, welchen Beitrag das Produktmanagement im Unternehmen liefert, müssen Produktmanager ihre Rolle kennen und leben. Sehen die anderen Abteilungen, wie sie selbst von einem strategisch ausgerichteten Produktmanagement profitieren, werden sie dieses viel bereitwilliger unterstützen. Durch ein gemeinsames Rollenverständnis mit dem Management kann sich der Produktmanager zusätzlich Rückendeckung holen und sein Standing im Unternehmen verbessern.

Entwicklungschancen wahrnehmen

Egal wie erfahren und erfolgreich ein Produktmanager ist, nach einer intensiven Analyse seiner eigenen Rolle wird jeder Verbesserungspotenziale finden. Allerdings müssen viele sogar erschrocken feststellen: Sie haben bis jetzt ihre Rolle komplett falsch ausgefüllt. Sie haben die in sie gesetzten Erwartungen, ihre echten Ziele und Kernaufgaben bisher nicht ausreichend verstanden.

Fast immer liegt es daran, dass Produktmanager zu operativ, zu technisch, zu “reaktiv” arbeiten, sich zu wenig um ihre strategischen und Führungsaufgaben kümmern. Viele Produktmanager sind Quereinsteiger und wurden nie explizit für diese Aufgabengebiete ausgebildet. Durch ein klares Rollenverständnis sehen Produktmanager, in welchen Themen sie sich speziell weiterbilden müssen, um ihre Ziele zu erreichen – und in welchen Themen sie Mut zur Lücke haben dürfen.

Bessere Karrierechancen

All das zusammen führt uns zu dem Schluss: Als Produktmanager ist ein klares Verständnis der eigenen Rolle ein echter Karriereturbo. Wer seine Ziele kennt und seine Prioritäten entsprechend setzt, wird schnellere Erfolge erzielen. Sich auf strategische Aufgaben zu konzentrieren und geschickt zu delegieren sind Merkmale guter Führungskräfte – und als solche werdet ihr wahrgenommen werden.

Füllt ihr eure Rolle als Produktmanager richtig aus, werden eure Produkte automatisch erfolgreicher. Mit solchen Argumenten im Gepäck und einem Macher-Image empfehlt ihr euch für höhere Aufgaben. Und selbst wenn das nicht euer Ziel ist: Ihr werdet mehr Zufriedenheit in eurer Aufgaben finden, den Druck auf euch reduzieren und wieder mehr Spaß als Produktmanager haben. Das garantiere ich!

So definieren Produktmanager ihre eigene Rolle

Der Definition der eigenen Rolle sollten sich Produktmanager von zwei Seiten aus nähern. Zum einen müsst ihr mit euren Chefs und dem Management sprechen, deren Sicht und Erwartungen verstehen lernen. Selbst wenn deren Verständnis “falsch” ist: Sie sind es, die euch letztendlich beurteilen und entscheiden, ob ihr Erfolg hattet oder nicht.

Zum anderen solltet ihr euch damit beschäftigen, was gutes Produktmanagement ausmacht, was die wichtigsten Stellschrauben und erfolgskritischen Aufgaben sind. Beschreibt das ideale Produktmanagement für euer Unternehmen, mit eurer eigenen Rolle und den Rollen der anderen Beteiligten. In meinen Produktmanagement-Trainings nimmt diese Aufgabe einen wichtigen Part ein. Dafür habe ich speziell das Tool der Rollen-Lücken-Analyse entwickelt.

Mit eurer eigenen Definition – und guten, nachweisbaren Argumenten  – geht ihr wieder zum Management. Entwickelt einen Plan, wie ihr dein verändertes Rollenverständnis in die Praxis umsetzen könnt. Mit der nötigen Unterstützung des Managements kannst du deine neue Rolle schon bald leben und deine Ziele erreichen, die du jetzt klar vor dir siehst.

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Über Oliver Nachtrab

Oliver ist Produktmanagement-Berater und Trainer. Unter der Marke nachtrab.io veranstaltet er offene Workshops und bietet persönliches Coaching an. Er unterstützt Produktmanager speziell dabei, ihre Rolle neu zu definieren und strategisch zu arbeiten. Seit 1997 war er als Produktmanager, Bereichsleiter, Vice President Produkte und COO tätig. Er hat einen reichen Erfahrungsschatz sowohl als “Praktiker” als auch im Management.

Ein Kommentar

  1. Avatar-FotoStefan johannesberg

    Hallo Oliver,
    ein sehr schöner und wichtiger Beitrag. Vor allem: „Produktmanager brauchen dafür starke Kommunikations- und Führungsfähigkeiten und Durchsetzungskraft.“ Erlebe ich als Produkt Manager*innen und Führungskraft von Produkt Manager*innen seit 15 Jahren täglich.

    Bei uns in einer komplexen Matrix-Organisation ist es gar so, dass dieses Rollenverständnis aufbauend auf der Definition im Unternehmen dynamisch ist. Meint: In unseren agilen Prozessen, virtuellen, temporären Teams und dynamischen Herausforderungen muss gerade der Produkt Manager*in als häufiger Mittelpunkt und Schnittstelle jeden Tag in jedem Gespräch bei jeder Aktion verstehen, in welcher Rolle er gerade agiert. Ist er beim Thema X im Lead? Ist er Teil eines Teams? Ist er eher PO?

    Daher ist das Kennen und Definieren der Rolle des Produkt Managers immer notwendig.

    Und noch was zur grundsätzlichen Definition: Ich würde alle erst mal als Produkt Manager*in bezeichnen, PO, Produkt Marketing Manager etc. sind alles nur Unterbereiche im Produkt Management, meiner Meinung nach.


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