Für unser heutiges Interview in unserer Reihe „produktbezogen im Gespräch“ konnten wir Franziska Nöthe gewinnen. Franziska leitet das Produktmanagement bei etracker in Hamburg und ist außerdem Gründerin von mr.mules. Sie berichtet uns davon, wie sie zur Idee von mr.mules kam, was sie unter Product Management versteht und was sie an ihrem Job besonders liebt.
Erzähle uns etwas über Dich. Wer bist du und was machst du genau?
Mein Name ist Franziska Nöthe und ich bin gebürtige Dresdenerin. Nachdem ich einsehen musste, dass die Passion des Ballett-Tanzens nicht zur Primaballerina, sondern maximal zum Blumenwedeln im Ensemble reichen wird, studierte ich Medieninformatik und zog 2008 nach Hamburg um dort als Web Developer bei der Digitalagentur Jung von Matt/next zu beginnen.
Nach diversen Agenturstationen mit Positionen wie Head of Development und Technical Director, wechselte ich als Head of Product Management zu dem Web Analytics-Anbieter etracker. Nebenberuflich bin ich die Gründerin der SAAS-Ressourcenplanung mr.mules.
Was ist mr.mules und was genau ist deine Verantwortung dort?
mr.mule ist eine SAAS-Ressourcenplanung vorrangig für Kreativ- und Digitalagenturen. Das Tool ist als eigenständiges Produkt aus einem Prototypen hervorgegangen, der bereits 1,5 Jahre in meiner letzten Agentur eingesetzt wurde und sich somit schon im täglichen Gebrauch bewährt hat.
Wir entwickeln mr.mules zu zweit. Durch das kleine Team liegen bei mr.mules alle Bereiche der Produktentwicklung in wenigen Händen: Ich verantworte nicht nur das Produktmanagement, sondern auch die technische Umsetzung und den Vertrieb. Mein Partner ist federführend für Design und Marketing verantwortlich.
Kannst du etwas genauer auf mr.mules eingehen? Was sind die Vorteile und USPs von mr. mules?
Durch unsere langjährige Agenturerfahrung wissen mein Partner und ich um den gelebten Workflow und die damit verbundenen Probleme im schnelllebigen Projektgeschäft der Agenturen. Oftmals besteht der Wunsch nach mehr Strukturen und Abläufen, aber meist besteht auch Zurückhaltung und Angst vor noch einem Tool oder noch einem Meeting, wodurch – so die Annahme – noch weniger Zeit für die eigentliche operative Arbeit bleibt. Vor allem fehlt häufig die Transparenz, wer gerade an welchem Projekt arbeitet und wie eigentlich die Auslastung und Planung der Mitarbeiter in den nächsten Wochen aussieht.
Dort greift mr.mules an: Als SAAS-Ressourcenplanung löst mr.mules sowohl das Problem der intransparenten Ressourcenlage, als auch die Zurückhaltung gegenüber einem weiteren Tool, welches erst einmal selbst verwaltet werden will. Unsere Wettbewerber haben vor allem langfristige Projekte mit einem großen Planungshorizont im Fokus, für die es sich lohnt ein umfangreiches Setup vorzunehmen und die Planung mithilfe einer Timeline-basierten Oberfläche zu realisieren.
Im Gegensatz dazu setzen wir mit mr.mules auf einen schnellen Einstieg ohne großes Onboarding und eine stundenbasierte, intuitive Planungsoberfläche in der nicht nur stundengenau gebucht, sondern auch inline Projekte angelegt werden können. So tragen wir dem Workflow der Agenturen Rechnung, in dem zu jeder Zeit Planungsänderungen durch neue oder verschobene Projekte auftreten.
Neben der stundenbasierten Buchungsübersicht bietet mr.mules eine auf Agenturen zugeschnittene Unterteilung in Units (z.B. Standort- oder Kundenteam) und Gewerke (z.B. Kreation oder Entwicklung), um so durch übersichtliche Reportings schnell freie Ressourcen oder Engpässe in der Auslastung unter den gewünschten Mitarbeitern aufzudecken.
Und auch nicht zu vergessen und vor allem zur Zeit ein immer wichtigeres Thema: mr.mules wird auf deutschen Servern gehostet und alle personenbezogenen Daten sowie Projekt- und Kundennamen werden verschlüsselt gespeichert.
Wo wollt ihr langfristig mit mr.mules hin. Noch ist das ganze ja nebenberuflich – plant ihr Größeres?
Natürlich haben wir eine Produktvision: mr.mules soll langfristig das „Operating System“ von Agenturen werden und vielleicht sogar weitere Branchen als Zielgruppe gewinnen.
Aktuell befinden wir uns mit mr.mules noch im ersten Milestone und für alle weiteren ist unsere Roadmap sowohl mit bereits definierten Features als auch mit Zukunftsvisionen prall gefüllt: Demnächst kommen z.B. eine Langzeitplanung und ein Projektstatus hinzu, längerfristige Produkterweiterungen gehen in die Bereiche Zeiterfassung, Controlling sowie Schnittstellen zu Drittsystemen.
Unser Fokus liegt dabei immer ganz klar auf der intuitiven und schnellen Usability, um allen Agenturen ein Tool an die Hand zu geben, mit dem sie flexibel und transparent reagieren und vor allem vorausschauend agieren können.
Um aber wirklich zum Operation System für die Agenturbranche zu werden, fehlt aktuell noch das nötige Investment, um große Sprünge zu machen. Bis dahin implementieren wir vor allem die Features, die unseren Kunden und Interessenten kurzfristig die größten Mehrwerte liefern.
Kommen wir auf das Thema Product Management zu sprechen. Was bedeutet für dich Product Management?
Zu jeder Zeit steht das Produkt im Fokus aller Aktivitäten. Dabei muss aber stets zwischen der Produktvision und der daraus resultierenden Roadmap und den exekutierbaren Sprints unterschieden werden. Erst durch eine mutige Produktvision, gegen die alle Schritte der Produktentwicklung geprüft werden, ist es möglich, ein herausragendes Produkt zu implementieren, welches einen langfristigen Wert für den Kunden liefert.
Vor allem zu Beginn der Produktentwicklung, ist es dabei notwendig, Vertrauen in sein Produkt zu haben und einen langen Atem zu besitzen, um sich seine Zielgruppe zu erschließen, Begehrlichkeiten bei ihnen zu wecken und sie vom Produktnutzen zu überzeugen. Denn schließlich geht es nicht darum, den Kunden das zu bieten, was sie wollen, sondern das, was sie wirklich benötigen. Und um das zu erkennen, ist es ggf. nötig, sich seine Kunden gewissermaßen zu erziehen. Dann sind sie auch bereit, einen angemessenen Preis zu bezahlen.
Wie füllst du persönlich die Rolle des Product Managers aus? Kannst du uns deine Herangehensweise beschreiben?
Als Gründerin von mr.mules bin ich gleichzeitig auch Product Manager. Damit einher geht meine ganz persönliche Motivation die richtigen Entscheidungen für den Erfolg des Produkts zu treffen. Bei mir laufen zentral Kundenwünsche und Analysedaten sowie Vorschläge aus dem Team zusammen, woraus unsere Roadmap kontinuierlich erweitert und angepasst wird. Das heißt aber nicht, dass ich nicht mehr auf meinen Bauch höre.
Bei all den Daten oder Methoden die einem als Product Manager heute zur Verfügung stehen, darf man nicht vergessen, auf seine Intuition zu hören. Also: Einfach auch mal machen. Nicht den dritten Schritt vor dem ersten, aber ob ich einen Schritt in die richtige Richtung mache, habe ich schon immer recht schnell gespürt. Diese Mischung aus Bauch und Kopf, lebe ich als Product Manager vor, fordere Gleiches aber auch von meinem Team ein. Denn vor allem zu Beginn der Produktenwicklung ist es oft der eigene Mut, der den Unterschied machen kann.
Gibt es etwas, das du an deinem Job besonders liebst?
In Digitalagenturen zu arbeiten bedeutet, täglich mit neuen Kunden und Projekten konfrontiert zu sein. Das führt zu viel Abwechslung und einer enorm steilen Lernkurve. Es bedeutet aber auch, an zum Teil sehr kurzlebigen Projekten zu arbeiten und nicht die finale Entscheidungsgewalt hinsichtlich der Vision eines Projektes und der zu implementierenden Funktionen zu besitzen. Außerdem ist man stark auf sein Gewerk spezialisiert.
Dem gegenüber steht die auf Langfristigkeit ausgelegte und deutlich generalistischere Arbeit im Produktmanagement. Sie vereint Disziplinen wie Konzeption, Strategie und technisches Projektmanagement und ermöglicht die Betreuung und stetige Weiterentwicklung eines Produktes durch alle Phasen seines Lebenszyklusses. In meinem speziellen Fall umfasst die Arbeit darüber hinaus sogar noch die technische Implementierung von mr.mules.
Beide genannten Punkte – die übergreifende, generalistische Arbeit sowie die langfristige Betreuung – machen meinen Job spannend und führen zu großer Zufriedenheit.
Was sind die größten Herausforderungen für dich als Product Manager und wie begegnest du diesen?
In meiner Arbeit gibt es vor allem zwei wiederkehrende, miteinander zusammenhängende Herausforderungen: kritisches, reflektiertes und qualifiziertes Kundenfeedback zu erhalten, sowie die Bedürfnisse der Kunden zu antizipieren und die eigenen Ideen dazu möglichst frühzeitig zu validieren.
Mit mr.mules stehen wir noch ganz am Anfang der Produktentwicklung, denn der Großteil der Funktionen ist aus dem vorangegangenen Prototypen hervorgegangen und somit sehr auf eine Agentur, das heißt genau einen Kunden zugeschnitten. Seit dem Launch von mr.mules ist es nun vor allem unsere Aufgabe, Tester in zahlende User zu wandeln. Wenn dies bei einem potentiellen Kunden nicht gelingt, möchte ich selbstverständlich erfahren, warum der Test abgebrochen wurde. Oftmals gelingt es leider nicht, Feedback zu erhalten. Aber vor allem durch die Frage nach Einsatzszenarien und der Erläuterung der aktuellen Roadmap fühlt sich ein potentieller Kunde abgeholt und ernstgenommen und kommt so „ins Plaudern“, was er genau benötigt, bzw. wo er andere Funktionen für sich sieht.
Selbstverständlich bedienen wir uns diesem Kundenfeedback, Wettbewerbsbeobachtungen oder auch Analyticsauswertungen, um nah am Kunden zu bleiben und unsere Ideen auf Kundenwert zu validieren, um dann die richtige Richtung bei der Anpassung und Erweiterung der Roadmap einzuschlagen. Aber das Team von mr.mules ist noch so klein, dass ich mich auch gerne auf meine Intuition verlasse und meine eigenen Lieblinge pushe. So kann mr.mules überraschen und im besten Fall den Ausschlag beim Kunden zu geben.
Was hast du in deiner Position als Product Manager gelernt und was davon hättest du gerne vorher schon gewusst?
Durch das kleine Team bei mr.mules lernt man in kürzester Zeit unglaublich viel in allen Bereichen der Produktentwicklung. Was ich leider aber immer wieder neu lerne, obwohl ich es eigentlich weiß: Wenn der Produktmanager mit dem MVP zufrieden ist, dann ist es noch kein MVP. Das heißt, ich möchte am liebsten immer alles auf einmal und muss mich selbst bremsen, um in kleinen, abgeschlossenen Schritten vorzugehen. Denn nur so bleibt man nah am Kundennutzen und kann sich schnell in die richtige Richtung weiterentwickeln und flexibel reagieren.
Hast du irgendwelche Link-Tipps, Buchempfehlungen, etc., die du mit unseren Lesern teilen möchtest?
Die Unstuck-Map hilft, die richtigen Frameworks und Methoden für die zu lösenden Fragen im Produktenwicklungsprozess auszuwählen. Dabei konzentriert sie sich auf die User des Produkts sowie auf das mit dem Produkt zu lösende Problem.
Vielen Dank für das Gespräch!
Solltet ihr weitere Fragen an Franziska haben, könnt ihr sie gerne direkt über XING kontaktieren.
.. mir kommt in dem Artikel die Anwender-Zentrierung etwas zu kurz – Wünsche zu antizipieren geht aus meiner Sicht fest in Hand mit dauerhaftem parallelem Research in dem Kunden/Anwender/Nutzer (ja es ist manchmal schwer diese zu gewinnen) im Rahmen von Tiefen-Interviews, Beobachtungen, aber auch Anwendertests die zentrale Rolle spielen und das bei jedem neuen Feature, Workflowanpassung etc. Sicher ist es in diesem Fall von Vorteil, dass der Franziska als PM gleichzeitig ein Nutzer und somit Problem-/ Wünsche-Träger ist, jedoch gibt es da draußen noch so viel mehr an Wissen was eingefangen werden will und kritisch für den Erfolg des Produktes ist und somit der echten Ausrichtung auf den Markt.. (so meine Erfahrung)
Tolles Interview und immer wieder überraschend, wie ähnlich Erfahrungen sein können, trotz völlig unterschiedlicher Branchen. Zu den Herausforderungen als PM bzgl. Kundenfeedback kann ich nur sagen – das ist in der B2B Welt noch um einiges anspruchsvoller. Dort kostet Feedback nämlich Geld und fast prototyping ist kaum möglich.