4+2 Anlässe für B2B-Produktmanager mit Kunden zu sprechen

Arbeitest Du im B2B-Bereich und hast heute schon mit Kunden gesprochen? Glückwunsch!
Wenn es eines gibt, wofür Produktmanager gerne mehr Zeit und Gelegenheit hätten, dann ist es mit Kunden zu sprechen.

Bei Product Focus sind wir der (nicht besonders kontroversen) Meinung, dass Produktmanager regelmäßig mit ihren Kunden sprechen müssen. Eine der wichtigsten Aufgaben des Produktmanagers ist es, die Anforderungen der Kunden im Entwicklungsprozess und Lebenszyklus des Produktes zu repräsentieren.

Wie kann man also Kunden repräsentieren, wenn man nur selten mit ihnen spricht? Wie kann man echten und nachhaltigen Mehrwert schaffen, wenn man die Kunden nicht glaubwürdig repräsentieren kann? Produktmanager, die es schaffen ohne Kundenkontakt erfolgreich zu sein, haben vor allem eines: Glück.

Marktdaten, Nutzungsmetriken und Berichte von Analysten bieten eine abstrakte und oberflächliche Sicht auf die Kundenbedürfnisse. Sie sind ein wichtiges Puzzlestück, aber nur durch Gespräche mit Kunden und Nutzern kann der Produktmanager Marktchancen validieren und die nötige Glaubwürdigkeit erlangen.

Die 3 häufigsten Arten von Kundenbegegnungen

Nicht alle Arten von Begegnungen mit Kunden sind gleichwertig. Dies sind die drei Anlässe, die wir – leider – am häufigsten beobachten:

#1 Beim Verkaufen

Das Produktmanagement unterstützt das Vertriebsteam während des Verkaufsprozesses. In B2B-Unternehmen mit komplexen Produkten und wenigen Kunden ist dies manchmal unvermeidlich. Produktmanager sind die Personen im Unternehmen, die das Produkt und die Value Proposition am besten kennen. In Verbindung mit der hohen Verantwortungsbereitschaft für den Produkterfolg sieht der Vertrieb in uns die idealen Kandidaten zur Unterstützung beim Kunden.

Produktteams sollten dennoch erst in den späteren Verkaufsphasen einbezogen werden. Wer regelmäßig und in den früheren Phasen in Verkaufsgesprächen sitzt muss hinterfragen, ob der Vertrieb seiner Rolle gerecht werden kann. Idealerweise gibt es ein Pre-Sales-Team, das in den Frühphasen mit Detailwissen unterstützt. Du solltest außerdem sicherstellen, dass das Vertriebsteam mit Tools und Vertriebsmaterialien ausgestattet ist, damit sie nicht regelmäßig auf dich zurückgreifen müssen.

Eine Ausnahme kann die Launchphase sein, in der Du prüfen solltest, wie die Inhalte der Vertriebsschulungen und die bereitgestellten Vertriebsmaterialien in der Praxis funktionieren.

In diese Kategorie fällt für uns auch die Arbeit auf Messen: meist liegt der Fokus auf dem Schaffen von Verkaufschancen als dafür, ein tieferes Verständnis für die Kunden zu entwickeln. Zudem reichen die kurzen Gespräche in der Messe-Hektik selten dafür aus.

#2 Im Support

In vielen Unternehmen gibt es Zeiten, in denen das Support-Team aufgeben und den Kunden an das Produktmanagement übergeben muss. Wir haben Fälle kennengelernt, in dem das Produktteam sogar den 2nd-Level-Support hinter dem Helpdesk übernahm. Dieses Maß an operativer Einbindung versetzt einen in den dauerhaften „Fire-Fighting“-Modus und ist der Tod des produktiven Produktmanagers.

#3 Bei Krisen

Manchmal laufen Dinge schief. Das Produkt performt in einer speziellen Umgebung nicht wie erwartet, oder dem Kunden wurde etwas verkauft, dass das Produkt nicht leisten kann. Vielleicht mussten Funktion auf das nächste Release verschoben oder vorzeitig abgekündigt werden. Der Vertrieb möchte seine Kundenbeziehung nicht weiter strapazieren, und so muss der Produktmanager antreten, um den „Bad Cop“ zu spielen.

Probleme dieser Arten von Begegnungen

Obwohl dies alles Gelegenheiten für Produktmanager sind, mit Kunden zu sprechen, bieten sie sehr begrenzte Möglichkeiten, zu lernen und zu validieren.

Wenn Du dich im Verkaufsmodus befindest, ist der Kunde in der Regel auf eine ziemlich engen Themenkomplex fokussiert und wird sich zurückhalten, konkrete Herausforderungen zu teilen – schließlich kann dies seine Verhandlungsposition schwächen. Kunden haben sich zudem in dieser Phase bereits für einen Produkttyp und Funktionsumfang entschieden und haben wenig Interesse, über hypothetische Zukunftsszenarien zu sprechen.

Wenn Du Support leistest, hat der Kunde ein Problem das er von Dir gelöst haben will, damit er seine Arbeit fortsetzen kann. Die Erwartung ist, dass ihm geholfen und er nicht mit unrelevanten Fragen behelligt wird.

In Krisensituationen braucht der Kunde ein Ventil und ein Ziel für seinen Unmut und jemanden, dem er metaphorisch in den Hintern treten kann. Deine Aufgabe als Produktmanager ist es hier Verständnis zu zeigen, Lösungen und Workarounds anzubieten oder den Unmut anderweitig zu lindern. Logischerweise ist dies keine gute Grundlage für eine explorative und kollaborative Diskussion.

Die wichtigste Art der Begegnung mit Kunden

Keines der zuvor genannten Szenarien ermöglicht ein wirklich offenes Gespräch zum Zustand und zur Zukunft des Produktes, und daher ist die folgende Variante des Kundenmeetings das wichtigste.

#4 Discovery

Dies ist die exklusive Zeit mit Kunden, in der deren Bedürfnisse, Herausforderungen und Prozesse im Fokus stehen. Es wird weder ein Verkauf noch ein direktes Ergebnis erwartet. Der Zweck ist es, zu lernen. Gleichzeitig ist dies häufig die Sorte Meeting mit dem höchsten Aufwand in Sachen Überzeugungsarbeit und Vorbereitung.

Es spielt hierbei keine Rolle, welcher Schule dein Unternehmen sich anschließt. Egal ob Lean Startup, Dual-Track Agile, Continuous Discovery oder Scoping- und Design-Phasen im Stage-Gate-Prozess zum Einsatz kommen. Zu all diesen Aktivitäten gehören auch Discovery-Aktivitäten.

Um das Beste aus diesen Möglichkeiten herauszuholen, möchtest Du, dass dein Kunde (oder potenzieller Kunde) offen und kooperativ ist. Du willst, dass der Kunde über die Probleme spricht, die er hat, weil du und dein Team vielleicht die zündende Idee hast, wie sie endlich gelöst werden können. Du willst wissen, wie er in der Vergangenheit versucht hat, die Probleme zu lösen und welche alternativen Wege bisher beschritten wurden, die nicht das gewünschte Ergebnis geliefert haben.

Sich die Zeit nehmen

Ein Beispiel für den Wert eines solchen Meeting war eine 24-Stunden-Reise in die USA und zurück. Das mag teuer und zeitaufwendig erscheinen. Es war allerdings unschätzbar wertvoll: 11 Bereichsleiter, die alle relevanten Funktionen eines der größten Einzelkunden Ihrer Branche repräsentieren, nahmen sich die 4 Stunden Zeit für Product-Discovery mit mir als Produktmanager.

Es war die beste Besprechung mit Kunden die ich je hatte. Tatsächlich kostete es etwa 6.000 Euro, aber im Rahmen eines mehrere Millionen Dollar teuren Entwicklungsprogramms gab es keine Diskussionen über den ROI.

Der Vertrieb als Gatekeeper

Eine der größten Herausforderungen ist in vielen Unternehmen, dass die Anbahnung von Terminen mit Kunden exklusiv über den Account Manager läuft. Das kann die Dinge verkomplizieren, da Kunden einen solchen Termin häufig als Verkaufsveranstaltung interpretieren. Wie bereits angesprochen, sind Kunden unter dieser Prämisse weniger bereit zu einem gemeinsamen Termin oder gehen mit einer vorsichtig abwartenden Haltung in das Meeting. Leider hören wir häufig, dass Produktmanager nur „an der Hand des Vertrieblers“ zu Kunden dürfen, und am Ende keiner so richtig glücklich mit dem Ergebnis ist.

Zwar gibt es in den meisten Unternehmen keine Regel, dass der Vertrieb bei allen Kundenterminen dabei sein muss, allerdings zeigt die Praxis, dass es effektiver ist das nötige Vertrauen aufzubauen und einen gemeinsamen „Groove“ zu finden. Binde den Account Manager also in die Vorbereitung des Termins ein und erläutere die Erwartung an seine Rolle während des Gesprächs. Tust Du dies nicht, wird der Vertriebskollege nach Möglichkeiten suchen das Gespräch in Geschäft zu verwandeln, vor allem wenn der Kunde Interesse an bestimmten Ideen und Entwicklungen zeigt (die noch nicht existieren). Das kann dazu führen, dass der Kunde im Laufe der Session „zumacht“.

Bitte versteh das nicht als Vorwurf an den Vertrieb. Es ist seine zentrale Aufgabe, die von uns entwickelten Produkte in Umsatz und Verträge umzuwandeln. Aber langfristiger und größerer Erfolg entsteht nur durch sorgfältige und unbefangene Discovery. Die vorherige Abstimmung über die Verhaltensregeln ist entscheidend, um nutzbare Ergebnisse aus der wertvollen Zeit mit den Kunden mitzunehmen.

Techniken, wie man diese Kundengespräche führen sollte, werden von Product Focus im kommenden Produktmanagement Webinar „Bessere Kundengespräche für echten Erkenntnisgewinn“ vorgestellt (am 09. und 11. April).

Zwei weitere Gelegenheiten, die häufig übersehen werden

Neben diesen 4 häufigsten Anlässen für Begegnungen mit Kunden gibt es noch weitere Bonus-Anlässe über die Du dir Zeit mit Kunden verschaffen kannst:

Review Meetings

Viele Unternehmen führen regelmäßige Reviews mit den wichtigsten Kunden durch. Diese werden üblicherweise durch das Account Management / den Vertrieb organisiert und vorbereitet. Das Produktmanagement wird meist nur dann berücksichtigt, wenn Kunden Einblicke in die Roadmap anfordern. Versuche auch in anderen Reviews einen Slot für eine solche Session zu bekommen und nutze ihn für die Discovery – schließlich entsteht die Roadmap nicht aus dem Nichts.

In meiner ersten Produktrolle hatten wir QBRs (Quarterly Business Reviews) mit unseren wichtigsten Kunden, und ich wurde typischerweise eingeladen. Daher war ich in meiner darauffolgenden Rolle geschockt, als mir mitgeteilt wurde, dass es unüblich sein, das Produktmanagement dabei zu haben. Es brauchte ein gewisses Tauziehen und Verhandeln bis mich das Vertriebsteam schließlich zu den Reviews einlud.

Win/Loss Reviews

Viele Unternehmen analysieren die Gründe für gewonnene und verlorene Deals nur in internen Gruppen. Manche Unternehmen sind da bereits weiter. Sie laden die (gewonnenen oder verlorenen) Kunden zu diesen Reviews ein und lassen sie selbst erzählen (meist telefonisch zugeschaltet). Ohne die unverfälschte Stimme des Kunden besteht bei verlorenen Deals das Risiko, dass seitens des Vertriebs die Argumente „Wir waren zu teuer“ oder „Das Produkt ist nicht marktfähig“ herangezogen werden. Wenn der Kunde gewonnen wird, hört man häufig von der guten und langjährig entwickelten Beziehung zum Kunden, die den Ausschlag gab.

Manchmal stimmen diese Aussagen sogar, aber wäre es nicht gut, aus Sicht des Produktmanagements beim Kunden direkt nachfragen zu können, wo die Probleme genau lagen?

Immer die Augen offen halten

Produktmanager sind viel unterwegs, das gehört zum Job. Wir besuchen Kunden, Lieferanten, Partner, andere Teams, nehmen an Konferenzen und vielen anderen Veranstaltungen teil. Deine Kunden auch!

Daher mein Bonus-Anlass: Auf Reisen und Konferenzen

Die Chancen stehen gut, dass – wenn Du zum Beispiel im Flugzeug oder Zug sitzt – auch Kunden nicht weit von Dir entfernt sind, vielleicht sogar direkt neben Dir! Viele Produktmanager sind ziemlich kontaktfreudig, aber natürlich gibt es gewisse Hemmschwellen, ein Gespräch mit dem Fremden zu beginnen. Halte die Augen auf und sei offen für diese Zufallsbegegnungen! Ich hatte das Glück, einige großartige Gespräche mit Menschen aus verschiedensten Branchen zu führen, die ich während Reisen getroffen habe. Ich habe einige wirklich augenöffnende Einblicke für meine Produkte bekommen.

Also viel Glück bei den Begegnungen mit Deinen Kunden!

Dieser Artikel ist ursprünglich in englischer Sprache auf productfocus.com erschienen: The 4++ times Product Managers meet B2B customers. Übersetzt aus dem Englischen von Jan Harste. Original-Artikel von Phil Hornby.
Beide arbeiten als Senior Trainer und Berater für Product Focus, globaler Anbieter für Produktmanagementschulungen und –beratung.

 

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Über Jan Harste

Jan Harste ist freiberuflicher Berater und arbeitet als Senior Berater beim Schulungs- und Beratungsunternehmen Product Focus. Er leitet Schulungen und unterstützt Produktmanager und Start-Ups beim Einführen von besseren Methoden und Tools im Produktmanagement. Außerdem ist er als Senior Product Strategy Manager beim japanischen Hersteller und IT-Unternehmen Konica Minolta tätig, wo er die Geschäftsleitung bei der Planung und Entwicklung des Softwareproduktportfolios unterstützt. In seiner Freizeit liebt er es, mit Foto- und Musiktechnologie zu experimentieren, wenn auch wenig erfolgreich.

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