First things first – Priorisierung von Ideen + Anforderungen

Den wenigsten Unternehmen, Startups und Produkt-Teams mangelt es an Ideen dafür, was man alles machen kann und wie man ein Produkt weiterentwickeln kann. Seien es direkte Kundenwünsche, Ergebnisse aus Nutzerstudien, Anforderungen aus dem Vertrieb, neue technologische Trends, Wettbewerbsbeobachtungen, Ergebnisse aus Brainstormings oder die geniale Idee, die dem visionären Gründer im Traum kommt – der Ideen- oder Produkt-Backlog ist in der Regel gut gefüllt. Einzig mangelt es an der notwendigen Zeit und Ressourcen, um die vielen Ideen umsetzen zu können.

Es ist also erforderlich, dass die Ideen und Anforderungen bewertet und anschließend in eine sinnvolle Reihenfolge für die Umsetzung gebracht werden. Das Stichwort lautet Priorisierung. Der folgende Artikel soll ein paar Ideen aufzeigen, wie ein Backlog sinnvoll priorisiert werden kann.

Warum Priorisierung wichtig ist

Wie bereits angedeutet, sind Entwicklungsressourcen in den meisten Unternehmen ein knappes Gut, welches mit Bedacht eingesetzt werden sollte. Entsprechend wird man als Produktmanager immer wieder vom Management oder den Geldgebern mit der Frage konfrontiert, warum gerade diese oder jene Idee als nächstes budgetiert werden soll. Die Stakeholder möchten wissen, warum die eigenen Anforderungen erst später umgesetzt werden können und die Entwickler fragen (zurecht), warum sie ihre wertvolle Zeit in genau diese Idee investieren sollen. Und selbst wenn ein Heer an Entwicklern zur Verfügung stünde wäre es notwendig, diese die wichtigsten Ideen und Anforderungen zuerst umsetzen zu lassen.

Priorisierung bedeutet aber nicht nur, die Ideen und Anforderungen in eine Reihenfolge zu bringen, sondern auch grundsätzlich zu bewerten, welche Ideen es Wert sind, überhaupt näher betrachtet und schließlich umgesetzt zu werden. Ansonsten läuft man Gefahr, dass das Produkt letztlich zu komplex und unübersichtlich wird, ein Problem, über das ich bereits in einem älteren Artikel geschrieben habe. Eine Idee ist insbesondere dann wert umgesetzt zu werden, wenn sie ein echtes Nutzerbedürfnis bedient oder Kundenproblem löst – und dadurch auch dem Unternehmen einen Mehrwert bietet.

Entsprechend müssen diese und auch weitere Kriterien berücksichtigt und bewertet werden, um eine sinnvolle Priorisierung durchzuführen und diese auch für andere transparent und verständlich zu machen.

Bewertungskriterien für Ideen und Anforderungen

Ideen können grundsätzlich in zwei Dimensionen bewertet werden: Nutzen auf der einen Ebene und Kosten auf der anderen Ebene.

Nutzen kann dabei zum Beispiel durch folgende Kriterien entstehen:

  • Kundennutzen bzw. Problemlösung
  • Wirtschaftlicher Nutzen (Umsatz und Gewinn)
  • Strategischer Nutzen
  • Wettbewerbsvorteile
  • Kundengewinnung
  • Behebung von technischen Schulden
  • Erkenntnisgewinn

Kosten auf der anderen Seite können beispielsweise bedingt werden durch:

  • Ressourcen-Aufwand (Geld, Material, Personal)
  • Zeitlicher Aufwand
  • Komplexität
  • Risiken
  • Abhängigkeiten
  • Opportunitätskosten (bei nicht-Angebot der Funktion)

Welche Bewertungskriterien dabei für ein Unternehmen und Produkt relevant sind, ist individuell unterschiedlich und hängt vom Geschäftsmodell und anderen Faktoren ab. Wichtig ist, dass man sich zur Priorisierung vorab die passenden Kriterien heraussucht.

Damit der Priorisierungsprozess nicht zu komplex und damit zeitaufwändig und wieder intransparent wird, sollten pro Dimension nicht mehr als 3 Kriterien herangezogen werden. Gegebenenfalls kann es Sinn machen, die einzelnen Kriterien noch in sich zu gewichten, sodass beispielsweise ein positiver Kundennutzen stärker in die Bewertung fällt als ein Wettbewerbsvorteil. Maßgeblich sollten hierfür die Prioritäten des Unternehmens sein.

Zusätzlich sollte man sich noch überlegen, wie, d.h. auf welcher Skala man die Ideen bewerten möchte. Um eine nicht zu kleine, aber auch nicht zu große Granularität zu verwenden, favorisiere ich eine 5er-Skala, wobei 1 sehr niedrig und 5 sehr hoch bedeutet.

Priorisierung von Ideen und Anforderungen

Sind die relevanten Bewertungskriterien ausgewählt, eine Gewichtung bestimmt und eine Bewertungsskala definiert, kann der Priorisierungsprozess beginnen. Initial wird man dabei etwas mehr Zeit aufwenden müssen, bei nachfolgenden Ideen und Anforderungen können diese aber sukzessive bewertet werden, sodass eine Priorisierung regelmäßig stattfinden kann (zum Beispiel einmal im Sprint oder Monat).

An der Priorisierung selbst sollten dann wenn möglich unterschiedliche Personen und damit Kompetenzen teilnehmen. Arbeitet ihr in einer Produkt-Triade bestehend aus Product Manager, Lead Designer und Lead Engineer (wie von Marty Cagan in seinem Buch vorgeschlagen), dann sollte die Priorisierung zumindest durch diese stattfinden. Es kann aber auch Sinn machen, weitere Personen (z.B. Manager oder Stakeholder) zur Priorisierungsrunde mit einzuladen, denn dadurch kann sowohl das Verständnis für den Priorisierungsprozess, als auch für die Bewertungskriterien transparenter gemacht werden.

Häufig ist es zudem für die Priorisierung notwendig oder zumindest hilfreich, dass zu den einzelnen Ideen weitere Informationen zur Verfügung gestellt werden. Ich halte hierfür die (meisten) Fragen aus dem Opportunity Assessment, ebenfalls von Marty Cagan, für sinnvoll. Allerdings sollte die Beantwortung dieser Fragen nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen und damit eine Hürde für die Erfassung von Ideen werden.

Die Bewertung der einzelnen Ideen läuft dann wie folgt ab: für jede Idee werden die zuvor definierten Kriterien auf der entsprechenden Skala bewertet. Zum Beispiel:

Idee 1

Nutzen

  • Kundennutzen (60%) -> 4
  • Wirtschaftlicher Nutzen (30%) -> 5
  • Wettbewerbsvorteil (10%) -> 2

Kosten

  • Ressourcen (40%) -> 3
  • Komplexität (30%) -> 4
  • Risiken (30%) -> 2

Der Nutzen beläuft sich somit auf 4,1 Punkte (4*60%+5*30%+2*10%), also ist relativ hoch. Die Kosten ergeben 3 Punkte (3*40%+4*30%+2*30%) und liegen damit im Mittel.

Für die Darstellung der finalen Priorisierung ergeben sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Zum einen können die Kosten vom Nutzen abgezogen werden. Heraus kommt also immer ein Priorisierungswert im Bereich von +4 bis -4; die verschiedenen Ideen können im Anschluss einfach anhand dieses Wertes sortiert werden.

Alternativ können die beiden Dimensionen Nutzen und Kosten als Matrix dargestellt werden, in der etwas detaillierter bestimmt werden kann, wo eine Idee genau liegt.

Nutzen-Kosten-MatrixEs sollten also die Ideen im grünen Bereich zuerst einpriorisiert werden, gefolgt von den Ideen im gelben Bereich, welche nochmals kritisch betrachtet werden sollten. Ideen in Rot werden am besten gleich verworfen, da die Kosten zu hoch und der Nutzen ggf. zu gering sind.

Fazit

Die Priorisierung von Anforderungen und Ideen ist eine der zentralen Aufgaben des Produktmanagers. Gibt es kein nachvollziehbares Priorisierungs-Schema läuft man Gefahr, Geschäftsziele zu verfehlen, Kundenbedürfnissen nicht gerecht zu werden und grundsätzlich Ressourcen für weniger wichtige Themen zu verschwenden. Wichtig jedoch ist, dass man die Kriterien und den Prozess einer Priorisierung nachvollziehbar gestaltet, sodass das Management sowie Stakeholder verstehen (und auch besser hinterfragen) können, warum welche Ideen vor anderen umgesetzt werden sollten.

Ich hoffe, dass euch das dargestellte Vorgehen zur Priorisierung hilft, Ordnung in euren Backlog zu bringen. Habt ihr bisher kein nachvollziehbares System genutzt, dann versucht es nach dem oben beschriebenen Verfahren. Solltet ihr bereits ein anderes System zur Priorisierung einsetzen, so lasst uns und die Leser gerne daran teilhaben. Wie geht ihr vor? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Wir freuen uns auf eure Kommentare!

Über Rainer Gibbert

Rainer ist Produktmanager mit großer Begeisterung für gute, Kunden-orientierte und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte. Derzeit leitet er bei der Star Finanz GmbH in Hamburg den StarMoney Bereich und verantwortet dort die Produktentwicklung. Zuvor war Rainer u.a. bei REBELLE als Head of Product, bei Fielmann Ventures als Senior Produktmanager sowie bei OTTO als Produktmanager im E-Commerce Innovation Center tätig und leitete das User Insights Team bei der XING AG.

3 Kommentare


  1. Rainer Gibbert Artikelautor

    Hallo Bernhard,

    sorry für die undeutliche Beschreibung. Die 60% gibt die Gewichtung des Kriteriums “Kundennutzen” an. Der Wirtschaftliche Nutzen hat eine Gewichtung von 30% und der Wettbewerbsvorteil wird mit 10% gewichtet. Ergibt zusammen 100% für den Nutzen.

    Die Werte hinter dem Pfeil gibt die Bewertung des jeweiligen Kriteriums durch das Priorisierungs-Team an. Der Kundennutzen wurde im Beispiel mit 4 (=hoch) eingestuft.

    Ist das so verständlicher? Besser wäre wahrscheinlich eine tabellarische Darstellung,

    Viele Grüße
    Rainer


  2. Steffen

    Danke für die Beschreibung, wie Schätzungen zur Priorität einer Anforderung verrechnet werden können. Was mir dabei Bauchschmertzen bereitet, sind Schätzungen, die auf Einzelmeinungen basieren. Keiner von uns ist dauerhaft schlauer als die Masse.

    Wie wird also die Datenbasis verlässlicher, auf der eine Prioritätsberechnung basiert? Ich freue mich auf Kommentare zu unseren Eindrücken und Erfahrungen:

    http://apliki.de/2015/03/02/die-kunst-anforderungen-zu-priorisieren/


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