produktbezogen im Gespräch mit Björn Waide, Geschäftsführer der smartsteuer GmbH

Björn Waideproduktbezogen im Gespräch” ist eine Interview-Reihe mit Gründern, Produktmanagern, UX-Designern und anderen Produkt-Experten. Im heutigen Interview erklärt und Björn Waide, Geschäftsführer der smartsteuer GmbH, wie er die Produktentwicklung bei smartsteuer professionalisiert hat, dort eine Nutzer- und KPI-getriebene Kultur eingeführt hat und wie er der deutschen Bevölkerung mit smartsteuer zu einer halben Mrd. Euro Steuererstattung (jährlich) verhelfen möchte.

Hallo Björn. Erzähl uns doch zunächst etwas über dich und wie Du Geschäftsführer von smartsteuer geworden bist.

Nach einigen Jahren im hohen Norden bei XING in Hamburg hat es mich mit meiner Familie (2 Kinder, 3 und 7) wieder zurück in meine alte Heimat Niedersachsen gezogen. Da traf es sich dann ganz gut, dass die Haufe-Gruppe aus Freiburg gerade mehrheitlich das in Hannover ansässige smartsteuer übernommen hatte und einen Nachfolger für den Gründer Ralf Müller suchte.

Was genau ist smartsteuer und was sind eure USPs?

Also erstmal: Wir sind die Lösung für alle, die sich Ihre zu viel gezahlten Steuern vom Staat zurückholen wollen. Dazu bieten wir eine einfach zu nutzende Online-Anwendung, ohne Installation und vor allem ohne nerviges Steuerkauderwelsch. Bei smartsteuer wird man mit einfachen Fragen durch die Steuererklärung geführt. Das funktioniert nicht nur unter Windows, Mac und Linux, sondern auch gemütlich auf dem Sofa mit dem Tablet.

smartsteuer

Wer sind eure Zielgruppe / Nutzer?

Tatsächlich so gut wie jeder Steuerpflichtige, der sich mit unserer Hilfe zutraut, die Steuererklärung selbst anzufertigen. Seit diesem Jahr auch Selbständige, Freiberufler und Gewerbetreibende.

Was waren deine ersten Schritte, als du die Geschäftsführung übernommen hast?

Durch die Übernahme von Haufe und die dadurch gesicherte Finanzierung bin nicht nur ich zu dem Kernteam aus der Gründungsphase dazu gestoßen, sondern noch etliche weitere Mitarbeiter. Das Team hat sich so innerhalb kurzer Zeit etwa verdoppelt. Dieses Wachstum musste gemanaged werden: durch neue Strukturen und Prozesse. Insbesondere in der Entwicklung haben wir durch die Einführung von Scrum die bis dahin eher ungeordnete Produktentwicklung professionalisiert und gleichzeitig agiler gemacht.

Eine weitere wichtige Entwicklung war die KPI-Orientierung. Wir haben jetzt für alle sichtbar ein Dashboard mit unseren wichtigsten Kennzahlen. Jeder Mitarbeiter kennt unsere Ziele und weiß wo wir stehen. Im Produkt selbst mussten wir noch einiges instrumentalisieren, um nun wirklich im Lean Startup Sinne „Build – Measure – Learn“ leben zu können.

Und wo steht ihr jetzt?

Im Produkt und der Entwicklung außerordentlich gut. Wir haben dieses Jahr einen NPS von 65 erreicht. Auch wenn man den NPS ja nicht wirklich absolut vergleichen kann, ist das in der Höhe wirklich ein herausragender Wert. Das passt auch zu allen anderen Kundenzufriedenheitsmetriken, die wir erheben. Unser Fokus auf diese KPI und die intensive Arbeit an der Usability und Textverständlichkeit haben sich wirklich ausgezahlt. Das wurde Anfang des Jahres durch eine Usability-Studie bestätigt, aus der wir mit Abstand als Testsieger hervorgegangen sind.

Im Marketing tragen unsere Bemühungen um die Etablierung einer frischen Marke Früchte: Wir haben schöne Erfolge erzielt, z.B. mit unserer diesjährigen Kampagne gemeinsam-gegen-steuerverschwendung.de. Das Thema Steuern ist nun mal ein eher negativ behaftetes, daher bleibt die Vermarktung sicher noch eine Weile eine Herausforderung.

Hast du eine größere Vision hinter smartsteuer? Wo willst du langfristig mit dem Unternehmen hin?

Allen Unkenrufen zum Trotz haben wir in Deutschland eines der gerechtesten Steuersysteme weltweit. Diesen Wunsch nach systemischer Gerechtigkeit haben wir allerdings mit einer hohen Komplexität bezahlt. Unser Fiskus kassiert jedes Jahr 500.000.000 Euro durch zu viel gezahlte, aber nicht von den Steuerzahlern zurückgeholte, Steuergelder. Den Meisten ist entweder gar nicht klar, dass Sie im Schnitt eine Steuerrückzahlung von 800 Euro bekommen könnten oder ihnen ist es schlicht zu kompliziert. Den mehrere hundert Euro teuren Steuerberater kann und will sich auch nicht jeder leisten. Zumal man diesen bezahlen muss, bevor man überhaupt weiß, ob es sich lohnt.

Bei smartsteuer kann man seine Steuererklärung komplett online erledigen und auf den Cent genau ausrechnen lassen, ob man etwas wiederbekommt oder gar nachzahlen muss. Erst dann kann sich jeder frei entscheiden, ob er die Erklärung abgeben will und dafür 14,95 Euro bei uns bezahlt. Das ist unser Beitrag für etwas mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland.

Um unser Ziel zu erreichen, dass jeder nur die Steuern bezahlt, die er auch bezahlen muss, müssen wir ein Produkt anbieten, dass wirklich jeden in die Lage versetzt, seine Steuererklärung selbst zu machen. Dazu arbeiten wir weiter intensiv an der Usability, den Hilfetexten, bauen unseren kostenlosen 24/7 Support weiter aus, etwa durch einen Live-Chat und ergänzen unser Produkt um zahlreiche Hilfe- und Aufklärungsangebote wie z.B. kann-man-das-absetzen.de.

Aber klar: Es bleibt noch einiges zu tun!

Wie funktioniert die Produktentwicklung bei smartsteuer? Wie viele Leute arbeiten an smartsteuer und wie sieht die Rollenverteilung aus?

Wir sind aktuell 14 festangestellte Mitarbeiter, der Großteil davon im Bereich Entwicklung mit 5 Entwicklern und einem Qualitätssicherer. Der zweitgrößte Bereich ist der von Berechnung/Interview. Hier sitzen unsere Steuerexperten und Mathematiker, die die komplexe Steuergesetzgebung in einfache Fragen übersetzen und in Euro und Cent die mögliche Steuererstattung berechnen.

Arbeitet ihr nach Scrum oder anderen agilen Methoden?

Kann man heutzutage noch anders arbeiten? ☺ In der Tat arbeiten wir in der Entwicklung, seit ich dabei bin, mit Scrum. Aber auch die anderen Teams haben sich inzwischen agile Prinzipien abgeguckt und arbeiten im Kanban-Style.

Wie kommt ihr zu neuen Ideen? Betreibt ihr User Research?

Wir pflegen einen engen Kontakt mit unseren Kunden über Umfragen und Inhouse-Usability Tests, die in der Regel zweimal im Jahr durch externe Usability Tests ergänzt werden. Viel Input kommt aber tatsächlich durch unsere Supportmitarbeiter. Die sitzen bei uns im Büro und nicht in einem externen Callcenter. Hier erleben wir täglich hautnah, welche Probleme Anwender in der Praxis mit ihrer Steuererklärung haben.

Wie stellt ihr sicher, dass das, was ihr entwickelt, auch wirklich einen Mehrwert (für die Nutzer und für euch) bringt?

Neben den schon angesprochenen intensiven Tests messen wir natürlich auch viel in der Anwendung selbst. Da haben wir einen riesigen Vorteil gegenüber den etablierten On-Premise-Anbietern. Da für uns das Datenschutzthema natürlich ein ganz besonders wichtiges ist und wir durch eine TÜV-Zertifizierung hier extra hohe Maßstäbe anlegen, war die Einführung von Web Analytics etwas aufwendiger als in anderen Unternehmen. Aber wir haben in Zusammenarbeit mit dem TÜV und den Datenschutzbehörden eine gute Lösung gefunden.

Sofern du darüber sprechen kannst: Was sind die aktuellen Themen, aktuelle Herausforderungen, mit denen du dich beschäftigst?

Eine große Herausforderung für unsere tägliche Arbeit sind die vielen regulatorischen Besonderheiten im Steuerumfeld. Wir dürfen als Produktanbieter z.B. keine Steuerberatung machen, auch nicht telefonisch. Durch das Verbot der Mandantenzuführung dürfen wir bei komplexen Fällen aber auch keine Steuerberater empfehlen. Gleichzeitig wollen wir natürlich die Probleme unserer Kunden vollumfänglich lösen und ihn nicht im Regen stehen lassen. Durch teils schon erwähnte Plattformen wie kann-man-das-absetzen.de versuchen wir diese Probleme zu umgehen. Auch nach hinten raus, nach der Abgabe der Steuererklärung, wollen wir unseren Kunden helfen. Aber wer versteht schon das Fachchinesisch im Steuerbescheid? Kommendes Jahr bieten wir daher auch hier eine Online-Unterstützung an und versuchen den Steuerbescheid zu erklären.

Ansonsten bleibt es eine Herausforderung, dieses Thema, an das die meisten nur mit Grauen denken, ansprechend zu vermarkten.

Du durftest während deiner Zeit bei XING (bevor du zu smartsteuer gegangen bist) eng mit Marty Cagan zusammen arbeiten. Was hast du von ihm gelernt und was davon setzt du bei deinem jetzigen Job noch ein?

Die Arbeit mit Marty war einzigartig und ich profitiere noch heute jeden Tag von dem, was ich bei und mit ihm gelernt habe. Schon der in seinem Buchtitel formulierte Anspruch Produkte zu bauen, die Kunden „lieben“ ist so weitreichend, dass man sich damit jeden Tag wieder neu beschäftigen kann. Unsere Kundenzufriedenheitsorientierung mit NPS als wichtigster KPI, die agile Entwicklungsmethodik, das sich und seine Ideen immer wieder in Frage stellen und am Markt zu verifizieren: Das sind alles Dinge, die sich mehr oder weniger direkt aus der Arbeit mit Marty ableiten lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Solltet ihr weitere Fragen an Björn haben, könnt ihr ihn gerne über XING kontaktieren. Weitere Informationen zu smartsteuer findet ihr unter www.smartsteuer.de

 

Über Rainer Gibbert

Rainer ist Produktmanager mit großer Begeisterung für gute, Kunden-orientierte und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte. Derzeit leitet er bei der Star Finanz GmbH in Hamburg den StarMoney Bereich und verantwortet dort die Produktentwicklung. Zuvor war Rainer u.a. bei REBELLE als Head of Product, bei Fielmann Ventures als Senior Produktmanager sowie bei OTTO als Produktmanager im E-Commerce Innovation Center tätig und leitete das User Insights Team bei der XING AG.

Ein Kommentar

  1. Elsa Horneke

    Vielen Dank für dieses interessante Gespräch! Ich habe von diesem Unternehmen bislang nichts gehört. Jedoch finde ich das Konzept sehr spannend. Ich denke, ich werde meinen Steuerberater fragen, was er davon hält. Danke für den informativen Beitrag!


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