User Experience Design – mehr als nur der Zuckerguss

An meine erste Begegnung mit dem Thema User Experience Design erinnere ich mich noch sehr gut. Alles begann mit dem Buch “The Elements of User Experience” von Jesse James Garett. Danach sah ich meine Arbeit mit anderen Augen. Ging es mir zuvor in erster Linie um gute Usability und einen möglichst minimalistischen Aufbau, begann ich daraufhin noch systematischer mich auf die Bedürfnisse des Nutzers zu fokusieren. Mein erster Schritt beim Entwickeln von Konzepten war nun die Frage  “Was will und braucht der Nutzer?” oder “Welches Problem des Nutzers wollen wir damit lösen?”. Es war nicht mehr nur die äußere Form der Torte, sprich der Zuckerguss, mit der ich mich beschäftigte – es ging um mehr als das. Ich fragte mich, welche Art und welche Form von Torte der Nutzer überhaupt gebrauchen könnte. Von da an sah ich mich selbst als Experience Designer. Seitdem hat sich beim Thema User Experience viel getan und der Job des User Experience Designers verändert sich.

Mehr als Zuckerguss?
Heute hat User Experience Design einen etablierten Platz in der digitalen Produktentwicklung. Viele Firmen wollen auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen und räumen einer guten User Experience einen hohen Stellenwert ein. Immer mehr Firmen bauen eigene User Experience Teams und eigene User Labs auf. Sogar Start-Ups haben User Experience Designer mittlerweile unter den ersten Angestellten. In dem Überangebot an digitalen Produkten und Services ist das bessere Experience Design schließlich einer der Faktoren, die über Erfolg oder Mißerfolg entscheiden. Trotzdem wird oft doch nicht mehr als der Zuckerguss betrachtet – eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Problemen und Bedürfnisse der Nutzer findet selten statt. Produkte und Features werden nach dem Geschmack des CEO oder den Wünschen der Stakeholder entwickelt. Die Nutzer werden zwar gefragt, aber mehr, um die eigene Meinung zu bestätigen. Dabei ist ein ehrlicher und kritischer Blick auf die eigene Arbeit mehr denn je gefragt und die Fähigkeit sich von den eigenen Lieblingsideen lösen zu können. Denn was einem selbst gefällt oder gerade im Trend ist, muss bei den Nutzern nicht immer gut ankommen. Und die Herausforderungen eine gute Experience für die Nutzer zu entwickeln wird größer und nicht kleiner. Sogar der Blick unter den Zuckerguss und auf die Torte als Ganzes reicht nicht mehr aus.

Nutzer und Produkt im System betrachtet
Um zu verstehen, wieso der reine Blick auf das Produkt – also die Torte – und die Nutzerbedürfnisse nicht mehr ausreicht, muss man sich als digital affiner Mensch nur den eigenen Tag vor Augen führen. Morgens im Bett werden noch kurz die Emails gecheckt, am Frühstückstisch die Nachrichten auf dem iPad gelesen, in der Bahn mit dem Laptop gearbeitet, zwischendurch mit dem Smartphone etwas im Online-Shop bestellt und und und. Man nutzt immer mehr Produkte und Services auf immer mehr unterschiedlichen Endgeräten. Die Frage was ich als Nutzer wann in welcher Form brauche, wird damit immer komplizierter zu entscheiden. Welche Funktion braucht der Nutzer zu welcher Zeit? Gestaltet man eine Responsive Website oder ist das eher ein Fall für eine native Applikation? Für alle die, die in der Produktentwicklung arbeiten und vor Allem für die User Experience Designer wird die Arbeit so zu einer noch größeren Herausforderung.

Der Nutzer und sein Verhalten sollten als gesamtes System betrachtet werden. Wann, wieso, womit und in welchem Kontext wird das Produkt genutzt. Welche anderen Produkte und Services werden benutzt. Welche Interaktionen finden außerhalb der eigentlichen Nutzung statt. Die gesamte Torte muss betrachtet werden – die Zutaten und der Konditor, die Tortenplatte und die Auslage. User Experience Designer werden zu digitalen Forschern, die im Sinne der Nutzer die Welt erkunden und experimentieren. Die Rolle und die Arbeit der User Experience Designer muss sich dafür verändern, neue Tools und Methoden wie zum Beispiel Experience Maps und Storytelling müssen eingesetzt oder gar erfunden werden. Die Akzeptanz für diese Arbeitsweise muss in den Firmen etabliert werden. Es gibt eine Menge zu tun.

Verantwortung übernehmen
Die richtige Experience für Produkte und Services ist wichtig und wird in den nächsten Jahren immer wichtiger werden. Die Firmen, die heute schon anfangen Kompetenzen in diese Richtung aufzubauen und zu fördern, sind auf einem guten Weg. Doch die Designer in diesen Teams müssen diese Herausforderung auch annehmen wollen und sich für eine gute User Experience einsetzen. Meine Erfahrung ist, dass oft die Verantwortung abgegeben wird und die Designer sich selbst auf eine zuliefernde Rolle reduzieren. Doch Verantwortung übernehmen und neugierig bleiben ist gefragt, um die Zukunft in Firmen mit gestalten zu können, anstatt nur den Zuckerguss aufzutragen.

Über Inken Petersen

Inken Petersen ist freiberuflicher Product Design Lead aus dem schönen Hamburg. Vor ihrer Selbstständigkeit hat sie das UX Team bei XING aufgebaut. Seit 2012 hilft sie Produkt-Teams dabei ihre UX Kompetenzen gezielt aufzubauen und nutzerzentrierte und erfolgreiche Produkte zu entwickeln. Dabei arbeitet sie je nach Projektfokus als Coach oder auch als hands-on Product Designer.

3 Kommentare

  1. Bernhard

    Erstmal, super was ihr da auf die Beine gestellt habt!
    Der Artikel fasst in relativ wenigen Worten gut zusammen, was UX Design ausmacht und was es leisten kann. Der Realität schaut nur meistens anders aus. Selten bis gar nicht werden tatsächlich Benutzerbedürfnisse identifiziert oder überhaupt in Erwähnung gezogen, meist kommen solche Initiativen nicht über die Definition von Use Cases hinaus.
    Das Ganze funktioniert nur, wenn in der jeweiligen company ein ENTSPRECHENDES MINDSET und eine KULTUR vorhanden ist, was selten der Fall ist. (Ein Video dass dies auf die Spitze treibt: First day for a User Experience Designer)
    In einer Welt, in der zunehmend (Software-)Produkte agil entwickelt werden, ist es eine große Herausforderung Manager davon zu überzeugen, entsprechend in (UX) Design zu investieren und gleichzeitig das “seamless” in den vorhandenen Development Prozess zu integrieren. Oft bleibt es dabei, wenn man zentrale Use Cases als Wireframes abbildet und ein paar Runden mit den Developern dreht. Von User Involvement ist hier oft weit und breit nichts zu sehen.

    Und dann bin ich natürlich auch ein wenig ketzerisch, wenn ich jetzt APPLE erwähne und frage: wie viel User Experience Design in dem Sinne wie ihr es beschreibt machen den die Designer in Cupertino? Schließlich manchen die auch großartige Produkte!

    Abschließend:
    Auch wenn euer Fokus bisher auf Deutschland liegt – vielleicht könnt ihr euren Fokus auf “deutsch-sprachig” erweitern, dann fühlen sich auch Schweizer und Ösis wie ich angesprochen :-)))
    Bitte weiter so
    Bernhard


  2. Inken Petersen Artikelautor

    Hallo Bernhard,

    das mit der Anregung für den deutschsprachigen Raum nehmen wir doch gerne auf.

    Das mit Apple finde ich gar nicht ketzerisch – ich denke sogar, das die davon mehr machen, als immer so gesagt wird. In den UX Principles von Apple findet man ja auch einen starken Nutzerbezug. Prinzipiell sind die aber natürlich auch sehr technology- und design-driven, da macht es eben offenbar die richtige Mischung. Und das Jobs Zitat “Design is not just how it looks and feels like. Design is how it works” spricht ja auch eine deutliche Sprache. Eben mehr als nur der Zuckerguss ;)

    Aber wie du schreibst, es wäre toll, wenn mehr Firmen das richtig ernst nehmen würden und sich nicht nur “User Experience ist wichtig für uns” auf die Fahnen schreiben und sich dann doch nicht für Nutzerfeedback oder die Argumente des Designers interessieren… Letztlich müssen dann aber auch die UX Leute und Designer sich noch mehr Stimme in den Firmen verschaffen. Ich habe auch schon oft erlebt, das sich gerne hinter “Es interessiert ja doch keinen was wir sagen” oder “Es ändert sich ja sowieso nie was” Argumenten versteckt wurde.

    Viele Grüße,
    Inken


  3. Bernhard

    Ja da hast sicherlich recht, dass man sich nicht zurücklehnen und erwarten kann, dass sich etwas von selbst ändert. Ändern kann man das aber Bottom-Up als Einzelperson nicht, wenn:
    1. die (UX/Design) Kultur dafür nicht potentiell im Unternehmen vorhanden ist
    2. das nicht von zumindest einem Top-Manager aktiv betreiben wird.

    Interessanterweise hatte ich in meiner letzten Firma mehr Erfolg, wenn ich nicht über UX Design oder User Centered Design gesprochen habe, sondern versucht habe in der Sprache der Manager und Developer zu sprechen, z.B. habe ich das “Agile Prototyping” genannt und Argumente verwendet, die zu den KPIs der Manager und Developer passen, wie Effizenzsteigerung in den Entwicklungsprozessen…etc.
    Damit Organisationen, die bisher keinerlei UX Design gemacht oder verwendet haben, in diese Richtung auch nur denken, musst du die Kultur und Denkweise ändern, du brauchst ein Change Management, das erst die Grundlage schafft. Und du brauchst ein Top-Management, dass das trägt, Bottom-Up funnktiniert das nicht, weil du als einzelner oder als kleine Gruppe die Kultur eines Unternehmens kaum ändern kannst, vor allem von großen Unternehmen.

    Und zu Apple: zu UX Design gehört für mich zentral das Miteinbeziehen von Benutzern in den Designprozess, was ja Jony Ive immer dezidiert ausgeschlossen hat. Es gibt eine Menge sogenannter UX Designer, die von sich sagen UX Design zu machen, die denken sich aber einfach was cooles oder weniger cooles aus und taggen das dann “UX”. Ist halt schon ein wenig ein Modewort geworden.
    Bernhard


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