Accessibility und UX Writing: Warum Sprache für digitale Barrierefreiheit so wichtig ist

UX Writing ist ein wichtiger Faktor, wenn es um die barrierefreie Nutzung einer Seite geht. Dieser Artikel ist Teil unserer sum.cumo Serie über Accessibility und behandelt den Abschnitt “Sprache und Medien”. Er geht auf die sprachlich-textliche Dimension digitaler Produkte ein, denn es sind nicht “nur” eine gute User Experience und die Gestaltung der Benutzeroberfläche, die ein digitales Produkt zu einem guten Produkt machen.

Wenn es um die Texte für eine Website geht, bekommen wir häufig Anforderungen wie “anders”, “unique”, “frisch” oder “jung” zu hören. Was das genau heißt und ob dieser sprachliche Ansatz überhaupt zur Marke als Absender passt, wird oft nicht genau definiert. Ob dieser “frische” Text von den Nutzer*innen ohne Probleme verstanden werden kann, lässt man meistens komplett außen vor. Natürlich ist das kein Plädoyer für austauschbare Textbausteine, die auf einer Website für Holzmöbel genauso passend sind wie auf einer für Software. Gewisse Wörter, Begriffe und Formulierungen sind nun einmal gelernt, allgemein verständlich und der Bezug zur Realität im Alltag ist schnell hergestellt.

Auch hinsichtlich Satzbau, Grammatik und Struktur gibt es Konventionen, die eine bessere Verständlichkeit fördern. Nicht umsonst gibt es ganz offiziell die “leichte Sprache” (LS), in der laut § 11, Behindertengleichstellungsgesetz deutsche Behörden mehr und mehr ihre Angebote bereitstellen sollen.

Übrigens: Wenn du dich generell für UX Writing interessierst, kannst du hier erfahren, warum wir bei sum.cumo eine UX Writerin bezahlen.

Ziel: Eine einfache und verständliche Anwendung

Indem wir den Nutzer*innen eine besonders einfache und verständliche Anwendung
ermöglichen, heben wir uns meistens schon so stark vom Wettbewerb ab, dass wir auf “frische” Texte als Alleinstellungsmerkmal weitestgehend verzichten können.
Genau hier setzt auch das Zusammenspiel zwischen Accessibility bzw. der “Zugänglichkeit” einer Website und UX Writing an. Es geht darum, Komplexität und daraus entstehende Barrieren zu reduzieren. Das bezieht sich nicht nur auf die schiere Menge an Text, sondern auch auf Wortwahl, Satzlänge, Abstraktion und Textaufbau.
Denn Nutzer*innen sind natürlich nicht alle gleich. Man kann beim Texten für Websites nicht wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Leser*innen einen (sehr) hohen Bildungsstand haben, problemlos lesen können oder ohne jegliche Einschränkung verstehen, was wir vermitteln möchten. Hier ist Empathie und Vorstellungsvermögen darüber gefragt, wer am Ende die eigenen digitalen Produkte verwendet.

Die Daseinsberechtigung von UX Writing

Denn es haben gerade Nutzer*innen mit kognitiven Einschränkungen oft Schwierigkeiten, komplexe Texte zu verstehen. Ebenso stellen Nicht-Muttersprachler komplexe Texte vor Herausforderungen. Ganz zu schweigen von den Nutzer*innen, die einfach nur schnell zum Ziel kommen wollen und kein vermeintliches Gedicht interpretieren möchten. User*innen müssen lesen und verstehen, was sie machen sollen. Das ist die erklärte Daseinsberechtigung von UX Writing. Die Digitalisierung von Versicherungen (was einen Großteil meiner Arbeit als UX Writermausmacht) ist besonders erklärungsbedürftig. Denn wir wissen ja:

Auf einer Website entsteht mehr Interaktion, wenn Inhalte verstanden werden und ein Dialog zwischen Nutzer*in und dem Medium etabliert werden kann. Das Resultat: mehr Nutzer*innenmführen die gewünschten Handlungen aus, wodurch letzten Endes mehr Umsatz generiert wird.

Aus meiner Sicht gibt es kaum ein besseres Argument, warum man gezielt auf die Sprache achten sollte, wenn mit der Website unternehmerische Ziele verfolgt werden.

Was heißt das nun konkret?

Beim Schreiben für digitale Produkte sollten gewisse Standards gelten. Diese Standards stellen sicher, dass die Benutzung der Produkte für Nutzer*innen zu jeder Zeit möglichst einfach, verständlich und zielführend ist. Dies sollte immer selbstverständlich sein, nicht nur wenn Accessibility explizit in den Anforderungen genannt wird. Überträgt man diese Standards auf die verschiedenen Anwendungsfälle von Produkt-Text bzw. Microcopy, hilft das für Landingpages, Formulare und Danke-Seiten, die Inhalte leicht verständlich zu gestalten.

Hilfestellungen zum Schreiben verständlicher und zielgerichteter Texte

Hilfestellung 1: „Menschliche“ Wortwahl

  • Es zeugt von Empathie gegenüber den Nutzer*innen, wenn gängige Suchbegriffe aus einer Suchmaschine im Website-Text aufgegriffen werden. Sie haben dann das Gefühl, dass man “in ihren eigenen Worten” mit ihnen spricht. Ziel: Verwende die Worte, nach denen Menschen auch suchen (z. B. mit Hilfe von Google Trends).
  • Vermeide “Amtsdeutsch” und erkläre Verwaltungsvorgänge möglichst verständlich. Wenn du Abkürzungen verwendest, die die Zielgruppe vielleicht nicht kennt, solltest du sie bei der ersten Verwendung auflösen oder erklären.
  • Unspezifische Begriffe am besten vermeiden und durch klare Fakten ersetzen. Dies gilt vor allem für Zeitangaben, zum Beispiel bei Terminen.
  • Kurze Wörter sind besser lesbar. Zusammengesetzte Worte lassen sich durch
    Bindestriche lesbarer gestalten.

Hilfestellung 2: Niedriges Sprachniveau

  • Das Schreiben auf einem niedrigen Schwierigkeitsniveau hilft den Nutzer*innen, die Inhalte schneller zu erfassen. Das unterstützt insbesondere Nutzer*innen mit einer anderen Muttersprache oder bei generellen Leseschwierigkeiten. Ziel: Schreibe Text auf dem Niveau 9. Klasse bzw. B1, der einfach zu lesen ist, auch für
    nicht-deutschsprachige Nutzer.
  • Einfache Begriffe sind besser als komplizierte. Fremd- und Fachwörter oder Anglizismen sollten vermieden werden.
  • Verwende kurze Sätze: Sätze mit mehr als 20 Wörtern lassen sich meist teilen – Punkt statt Komma heißt die Devise. Zwischen Subjekt und Prädikat stehen möglichst nicht mehr als sechs Wörter.
  • Gib in einem Satz immer nur eine Aussage wieder.

Hilfestellung 3: Klare Textstruktur

  • Sorgfältig, in Sinneinheiten strukturierte Texte lassen sich leichter lesen und schneller erfassen.
  • Der Fokus liegt auf dem Wesentlichen. Überflüssiges solltest du am besten weglassen.
  • Verwende Aktiv- statt Passiv-Konstruktionen: Es muss klar werden, wer was macht.
  • Bring in einem Satz die Informationen in eine logische Reihenfolge, mit den wichtigen Details zuerst. So sind die Inhalte für alle Leser*innen nützlich.

Anwendung auf UX Writing

Übertragen wir nun diese Qualitätskriterien auf die Anwendungsfälle von UX Writing bzw. Produkt-Text, erhalten wir konkrete Empfehlungen, welche Sprache für digitale Produkte am besten funktioniert.

Kinneret Yifrah hat dies in ihrem Buch “Microcopy. The complete guide” übersichtlich und umfassend ausgearbeitet. Jedem Produktverantwortlichen sei die Lektüre dieses Standardwerks ans Herz gelegt. Es liegt mittlerweile auch in deutscher Übersetzung vor.

Hier ausgewählte Praxisbeispiele als Auszug, die sich direkt in die textliche Gestaltung von digitalen Produkten umsetzen lassen:

Anmelden, Registrierung & Co.:

Begriffe wie “Neu anmelden”, “Einloggen”, “Registrierung” oder “Kundenkonto erstellen” trennscharf verwenden und nicht mal so, mal so. Den gewählten Begriff auch im folgenden Prozess beibehalten, um konsistent zu bleiben.

Anmeldeformulare möglichst kurzhalten und nicht überfrachten. Ein Formular soll einfach aussehen, deshalb so wenig Text wie möglich einsetzen. Nur dann Platzhalter verwenden, wenn es sein muss und wenn es den Nutzer*innen hilft. Hinweise zum Ausfüllen (Format, Zeichenzahl etc.) nicht als Platzhalter einsetzen, da sie bei Klick nicht mehr sichtbar sind. Besser neben das Feld als Tooltip oder neben die Beschriftung am Eingabefeld setzen. Pflichtfelder: Es muss immer deutlich gemacht werden, welche Felder optional sind und welche nicht. Z.B. mithilfe eines Sternchens und der Ergänzung “optional”.

Suchen & finden:

In Suchfeldern haben Platzhalter ihre Berechtigung, da hierdurch Nutzer*innen motiviert werden, die Suche zu nutzen. Besonders bei offenen Fragen helfen entsprechende Platzhalter beim Ausfüllen.

Passwort vergessen:

In dieser Situation haben Nutzer*innen nur ein Ziel vor Augen, daher einen
einfachen, kurzen und effektiven Text wählen. Ggf. eine kurze Erklärung über das Prozedere dazugeben.

Fehlermeldungen & Bestätigungen:

Fehlermeldungen sind ein wichtiger Teil der Konversation mit User*innen. Sie müssen so gestaltet werden, dass sie weiterkommen können und nicht in einer Sackgasse landen. Je generischer, desto weniger hilfreich. Keine technischen Begriffe verwenden, stattdessen einen freundlichen, verbindlichen Ton wählen. User*innen erwarten eine Bestätigung oder Erfolgsmeldung, nachdem sie eine Handlung ausgeführt haben. Bestätigungen oder Erfolgsmeldungen sind wichtig, da sie Gewissheit stiften, über den nächsten Schritt informieren und die Möglichkeit bieten, den User*innen ein positives Erlebnis zur verschaffen.

CTA & Buttons:

An den Buttons und Call-to-Actions treffen Nutzer*innen die Entscheidung zur Handlung, hier erfolgt die Conversion – oder auch nicht. Deshalb liegt hier ein ganz besonderer Fokus. Für Buttons sollten keine generischen Beschriftungen verwenden, sondern sie sollten ganz konkret und deskriptiv darauf verweisen, auf welcher Seite es nach dem Klick weitergeht.

Funktionelle Buttons sollten jedoch dem bekannten Standard entsprechen, z. B. Weiter / Sicher bezahlen / Bearbeiten / Teilen / Speichern / Upload etc..

Tooltips & Anleitungen:

Tooltips haben das Ziel, User*innen zügig und reibungslos durch den Prozess zu führen und Hilfestellungen zu geben. Wird Hilfe gebraucht und falls ja, an welcher Stelle? In so wenigen Wörtern wie möglich sollte der maximale Informationsgehalt transportiert werden. Natürlich so unkompliziert wie möglich. Anleitungen sind einfach und klar zu gestalten, aber auf eine freundliche, service-orientierte Art
und Weise. Es darf nicht nach Befehl klingen!

Formatierung und Symbole:

Das System nimmt im Idealfall bei Eingaben von Nutzer*innen jede Art der Formatierung an. Ansonsten einfach klare Hinweise zur benötigten Formatierung geben, z. B. direkt neben dem Eingabefeld.

Accessibility und Sprache

Dem Thema Accessibility widmet Kinneret Yifrah ein eigenes Kapitel. Hier die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  • Ein Screen-Reader liest die Website von oben nach unten und von links nach rechts. Daher muss Microcopy immer vor der möglichen Interaktion stehen.
    Kein Text sollte unter Bestätigungs-Buttons geschrieben sein. Auch Fehlermeldungen müssen entsprechend gestaltet werden.
  • Bitte berücksichtige, dass User*innen nicht den gesamten Screen sehen, sondern nur Teile davon hören. Daher: Fehlermeldungen, Erfolgsmeldungen und Empty States explizit benennen.
  • Wenn die E-Mail-Adresse abgefragt wird, muss gesagt werden, warum sie abgefragt wird (z. B. zur Newsletter-Anmeldung oder Kundenkonto-Eröffnung?).
  • Bilder und Icons müssen mit einem Alternativ-Text versehen werden, z. B. “i”/”?”/”!”/”Weitere Informationen”, damit der Screen-Reader diesen vorlesen kann.
  • Links und Button-Texte sollten deskriptiver gestaltet werden, da Screen-Reader diese Funktionen ermöglichen:
    Nur zwischen Headlines navigieren
    Nur zwischen Links und Buttons navigieren
    User*innen müssen anhand der Beschriftung erkennen, welche Seite sie als nächstes erwartet.
  • Microcopy nie als Bild, sondern immer als echten Text einfügen. Screen-Reader können den Text sonst nicht lesen.

UX Writing in a Nutshell

Nicht jede*r versteht Abkürzungen, Akronyme und Wortspiele. Daher: So einfach und
verständlich wie möglich schreiben. Und ja, manchmal wirkt es vielleicht ein bisschen langweilig. Aber das darf und soll es auch sein! Denn es geht darum, die Dinge beim Namen zu nennen. Und nicht clever sein zu wollen nur um der Cleverness Willen.

… womit wir wieder am Anfang des Artikels wären :-)

Ich hoffe, dieser Beitrag gibt einen Überblick und nützliche Hilfestellungen zum Thema Sprache, Text und Barrierefreiheit. Es ist ein komplexes Thema und erfordert sowohl eine strategische Herangehensweise, als auch handwerkliches Geschick. Diese Investitionen lohnen sich, nicht nur vor dem Hintergrund der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung.

Über Julia Gebauer

Julia arbeitet als UX Writer bei sum.cumo. Ziel ihrer Arbeit ist es, die Nutzung der Produkte mit klarer Sprache so einfach und verständlich wie möglich zu gestalten und eine Art menschlichen Dialog entstehen zu lassen. Dabei ist sie sowohl projekt- als auch kundenübergreifend tätig und kümmert sich jenseits der Web-Anwendungen um Content, Text, Worte und Sprache bei sum.cumo.

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