Der UX-Methodenkoffer für die agile ProduktentwicklungDesign Prinzipien richtig einsetzen

Design Prinzipien sind eine bekannte UX-Methode aus der Produktentwicklung und werden von immer mehr Unternehmen eingesetzt. In diesem Artikel erfährst du, welche Vorteile Design Prinzipien haben und wie du sie am Besten entwickeln und in deinem UX-Methodenkoffer erfolgreich anwenden kannst. Dafür teilen erfahrene Produkt- und UX-Managerinnen aus Unternehmen ihre Erfahrungen mit der Methode und geben Tipps.

Es ist eine typische Situation aus dem Alltag in der Produktentwicklung— man hat viel Energie und Herzblut in ein neues Konzept und Design gesteckt und dann kommt der Tag der Präsentation. Die Stakeholder warten gespannt auf das Ergebnis und haben große Erwartungen. Die vorherigen Abstimmungen liefen super und alle Beteiligten hatten das Gefühl sich einig zu sein, wo die Reise hingehen soll. Du präsentierst stolz den Prototypen und schaust in enttäuschte Gesichter. “Das sieht super aus, aber wir hatten es doch anders besprochen”, “Das zahlt so nicht auf unsere Ziele ein” oder auch nur “Also mir gefällt das nicht. Ich würde das so nicht nutzen”.

Was ist denn da passiert? Du verstehst die Welt nicht mehr und ärgerst dich maßlos, dass die Ideen nicht gut ankommen. Obwohl es deiner Meinung nach genauso besprochen war. Design Prinzipien hätten dir hier helfen können.

Solche Situationen sind vielen aus dem Produktentwicklungs-Alltag bekannt. Jeder hat zu Projektstart sein eigenes Bild von dem Produkt im Kopf. Und oftmals ist es leider nicht dasselbe. Spätestens bei der Bewertung und Abstimmung der Konzepte und Designs kommt es zu Problemen und man wird sich nicht einig. Oft wird dann ein Kompromiss entwickelt, der ein buntes Mischmasch aus den verschiedenen Meinungen ist. Was der Kunde oder der Nutzer braucht oder was gut für die Marke ist – daran wird in der aufbrausenden Diskussion oft nicht mehr gedacht.

Design Prinzipien sind eine gute Methode, um solchen Situationen aus dem Weg zu gehen. Sie definieren für alle Beteiligten transparent die Leitlinien und Regeln für UX und Design. So wird eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage geschaffen und die individuellen Bilder im Kopf können abgeglichen werden. Die Zielsetzungen für das Design werden viel greifbarer und lösen sich aus der rein subjektiven Perspektive. Anders als fachliche Anforderungen wie z.B. “muss Responsive sein” oder “muss den Traffic um 10%” steigern, sind Design Prinzipien sehr menschlich formuliert. Am Ende steht eine gemeinsame Bewertungsgrundlage, mit der alle gut arbeiten können und die verständlich ist.

Das klingt gut, aber sind Design Prinzipien als Methode für meinen Projektalltag denn überhaupt geeignet?

Genau diese Frage, könntest du an dieser Stelle des Artikels im Kopf haben. Bei neuen Methoden ist es immer schwer einzuschätzen, ob man sie wirklich gebrauchen kann oder nicht. Und keiner hat die Zeit jede Methode auszuprobieren. Deswegen kommen in diesem Artikel auch zwei Produkt-und UX-Managerinnen zu Wort, die ihre eigenen Erfahrungen im Unternehmen gerne teilen.

Ellen Brick, Inhouse Consultant Web+Mobile für dm.de bei FILIADATA GmbH hat Design Prinzipien bereits in ihren Projekten eingesetzt und sagt dazu:

“Design Prinzipien sollte jeder nutzen, der sich nochmal auf die wesentlichen Eigenschaften und Kriterien seines Produkts oder Features fokussieren möchte. Die Prinzipien helfen im Projektverlauf, eine konkrete Vorstellung davon zu entwickeln wie das Produkt für den Nutzer funktionieren soll und auf was besonders geachtet werden sollte.”

Stephanie Weber, Head of User Experience Design bei Immowelt Hamburg sammelte bereits ihre Erfahrungen bei der Einführung von Design Prinzipien als neue UX Methode im Unternehmen. Ihr Entscheidung das Thema anzugehen, begründet sie so: 

“Wir arbeiten über 2 Standorte hinweg, da brauchten wir gemeinsame Bewertungskriterien um die Entscheidungsprozesse effizienter zu gestalten. Sie sind als „Leitplanken“ zu verstehen die eine gemeinsame Richtung vorgeben, nicht als starre Gesetze. Zumeinen sind sie so konkret, dass man mit ihnen gut arbeiten kann, zum anderen lassen sie aber noch genügend Interpretationsspielraum um sie auf die verschiedensten Projekte anzuwenden.”

Wie man Design Prinzipien erstellt

Bei guten und funktionierenden Design Prinzipien ist es wichtig, dass sie in einem interdisziplinären Team definiert werden. So werden viele Leute aus unterschiedlichen Abteilungen involviert und es wird wirklich eine gemeinsame Arbeitsgrundlage geschaffen. Zum Auftakt eignet sich gut ein 1-tägiger Workshop, in dem die erste Version der Design Prinzipien erarbeitet wird.

Stephanie Weber von Immowelt hat es genauso gemacht:

“Nach einem 1-Tages Workshop haben wir bereits grob formulierte Design Prinzipien gehabt, die wir danach gemeinsam finalisiert haben. Das hat einige Wochen gedauert, man denkt über jedes Wort und jede Formulierung genau nach. Ich würde es wirklich vermeiden, sich in kleinem Kreis Design Prinzipien auszudenken und diese dann als „fertige neue Regeln“ dem ganzen Unternehmen „überzustulpen“. Am besten sind verschiedenste Abteilungen involviert – je interdisziplinärer, desto besser! Wenn nicht nur UX und Produkt, sondern auch Entwickler und zum Beispiel Marketing involviert sind ist auch nachher die Bereitschaft viel höher, diese anzunehmen und anzuwenden.”

Was gute Design Prinzipien ausmacht

Gute und funktionierende Design Prinzipien haben die folgenden Eigenschaften – sie sind spezifisch für Marke und Produkt, sie sind einfach zu verstehen, sie sind auf die wesentlichen 5-8 Prinzipien reduziert und sie geben einen klaren Rahmen vor.

Ellen hat gute Erfahrungen gemacht, die Design Prinzipien zu reduzieren:

“Um den Fokus nicht zu verlieren, sollte man vermeiden zu viele Design Prinzipien für das Projekt zu definieren. Wir haben mit fünf Design-Prinzipien gearbeitet, hier ist der Umfang überschaubar und man kann sich besser auf die einzelnen Prinzipien stützen.”

Für Stephanie ist es wichtig, dass die Design Prinzipien wirklich passen:

“Die Design Prinzipien sollten nicht zu generisch sein, sondern spezifisch zu der Marke passen. Zu allgemein formulierte Sätze helfen einem nicht wirklich weiter, wenn man eine Produkt bzw. Design-Entscheidung treffen muss.”

Wie man Design Prinzipien am Besten einsetzt

Design Prinzipien können auf zwei verschiedene Arten in die Produktentwicklung eingesetzt werden. Entweder projektbezogen für bestimmte neue Produktentwicklungen oder unternehmensübergreifend für ein bzw. mehrere Produkte. Der projektbezogene Einsatz ist für den Start meist einfacher, da nicht soviel Aufwand in die Kommunikation und Etablierung der Methode gesteckt werden muss. Beide Varianten haben aber ihre Vorteile und ihre ganz eigenen Herausforderungen, wie Ellen und Stephanie aus eigener Erfahrung berichten können.

Ellen hat die Design Prinzipien in ihren Projekten eingesetzt:

“Wir haben die Design Prinzipien in unserem Projekt eingesetzt, bevor wir uns mit den konkreten Lösungs- beziehungsweise Konzeptionsarbeiten beschäftigt haben. So hat man im Vorfeld zum einen schonmal einen Bewertungs-Rahmen geschaffen und kommt weg davon, was dem einzelnen persönlich besser oder schlechter gefällt. Zum anderen können die Design Prinzipien auch als Sprungbrett dienen um neue Ideen und Lösungen zu entwickeln sowie sich auf die wichtigsten Eigenschaften zu fokussieren.”

Stephanie hat sich der Herausforderung gestellt die Design Prinzipien standortübergreifend einzuführen:

“Nach Finalisierung der Design Prinzipien haben wir sie zuerst firmenweit kommuniziert über Email, Intranet Eintrag und im firmeneigenen Newsletter. Dann haben wir die betreffenden Leute die am meisten mit den Design Prinzipien arbeiten sollen, in einem zusätzlichen separaten Q&A Termin die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen und Bedenken zu äußern. Die wichtigsten Fragen und Antworten daraus haben wir anschließend ins Intranet gestellt. Schlussendlich liegt es aber vor allem an uns, die Design Prinzipien zu verinnerlichen und in den Arbeitsalltag zu integrieren. Vor allem Produktmanagement und User Experience Design sind Design Prinzipien Botschafter und sind gefordert, diese im alltäglichen Prozess einzusetzen und auf Herz und Nieren zu prüfen. Nur wenn sie tatsächlich immer wieder eingesetzt werden, werden sie als Methode etabliert und bringen uns weiter. Außerdem überlegen wir gerade, wie wir die Design Prinzipien visualisieren können um sie intern noch präsenter zu machen. Vielleicht werden es Plakate in jedem Meeting-Raum, Aufkleber oder Mousepads, mal sehen.

Tatsächlich finde ich ist das die eigentliche Herausforderung! Design Prinzipien entwickeln und zu kommunizieren geht relativ schnell, aber diese wirklich innerhalb der Firma zu etablieren ist eine Aufgabe an der man konstant dranbleiben muss.”

Und, was nun?

Du hast jetzt hoffentlich Lust bekommen die Methode auszuprobieren. Dann starte am Besten mit dem Einsatz in deinem nächsten Projekt. Einige Beispiele von Design Prinzipien bekannter Unternehmen als Anregung findest du hier:

Wie die Design Prinzipien von Etsy enstanden sind:
https://medium.com/etsy-design/creating-etsys-design-principles-4faf31914be3

Eine Übersicht über die Design Prinzipien bekannter Produkte – von AirBnB bis hin zu facebook:
https://medium.muz.li/design-principles-behind-great-products-6ef13cd74ccf

Auf Design Principles FTW findet ihr eine gute Sammlung verschiedener Design Prinzipien — von allgemeinen Gestaltungsprinzipien bis hin zu Unternehmensbeispielen:
https://www.designprinciplesftw.com/

Principles.Design ist ein Open Source Projekt für Design Prinzipien, wo jeder Beispiele und Tipps hinzufügen kann:
https://principles.design/

Einer meiner ersten Artikel zum Thema Design Prinzipien mit einem kurzen Überblick über das Thema:

https://www.produktbezogen.de/mit-design-principles-besser-und-gemeinsam-ans-ziel/

Über Inken Petersen

Inken Petersen ist freiberuflicher Product Design Lead aus dem schönen Hamburg. Vor ihrer Selbstständigkeit hat sie das UX Team bei XING aufgebaut. Seit 2012 hilft sie Produkt-Teams dabei ihre UX Kompetenzen gezielt aufzubauen und nutzerzentrierte und erfolgreiche Produkte zu entwickeln. Dabei arbeitet sie je nach Projektfokus als Coach oder auch als hands-on Product Designer.

2 Kommentare

  1. Thorsten Wilhelm

    Vielen Dank. Interessantes Thema, wenn auch sicher noch etwas zu “definieren”, damit es auf die Agenda kommt :).

    Wie relevant ist Deiner Erfahrung nach beim Thema “Design Prinzipien” das zusammenwirken von UX (Prinzipien) mit Brand / Markenkernwerten?

    Oder sind das für Dich Aspekte / Themen die keine Bezüge zu deinem Begriffsverständnis von Design Prinzipien haben?


  2. Inken Petersen Artikelautor

    @Thorsten: ja, das ist wohl noch etwas zu “definieren”, aber die letzten Jahre hat sich da bereits viel getan. Immer mehr Firmen arbeiten damit und ich setze Design Prinzipien auch regelmäßig in meinen Projekten ein.

    Das ist aber eine dieser Methoden, wo man den Mehrwert erst begreift, wenn man sie konkret im eigenen Projekt bzw. für das eigene Produkt anwendet. Ohne das klingen Design Prinzipien erstmal sehr generisch – wichtig ist wirklich die gemeinsame Definition im Team. Und zur gemeinsamen Definition gehört auch die Markenwerte, die Produkt-Sicht und die Technologie-Sicht mit einzubeziehen. Erst dann bekommt man eine gute Basis für die weitere UX/Designentwicklung.


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