Bild mit freundlicher Genehmigung von Duncan Preston

User Researcher – die elektrischen Mönche der Produktmanager?

In mehreren Beiträgen haben wir bereits darüber geschrieben, dass es für Produktmanager (und UX Designer genauso) essentiell ist, die Nutzer und deren Bedürfnisse zu kennen und zu verstehen. Gründe für User Research gibt es vielseitige:

  • man erhält ein realitätsbezogenes Bild von der Zielgruppe
  • man versteht, für wen und zur Lösung welches Problems man ein Produkt schafft
  • man muss nicht auf Glauben, Meinungen und Hypothesen vertrauen, sondern erhält Fakten
  • man läuft nicht Gefahr, sich in die verkehrten Ideen zu verlieben oder das falsche Produkt zu entwickeln
  • man erfährt, wie Nutzer ein Produkt bedienen und ob sie damit zurecht kommen
  • uvm.

Leider gehört User Research allerdings immer noch zu den Themen, die bei der Produktentwicklung zu kurz kommen und häufig an User Researcher oder Research-Agenturen ausgelagert werden. Daher ist eine (etwas provokante) These meinerseits, dass User Researcher als so etwas wie die elektrischen Mönche der Produktmanager missbraucht werden.

Elektrische Mönche?

Douglas Adams (R.I.P.) hatte neben seiner bekannten Kult-Reihe “Per Anhalter durch die Galaxis” auch zwei weniger bekannte Romane über einen etwas verplanten Detektiv namens Dirk Gently geschrieben. Der erste Teil davon trägt im Deutschen den Titel “Der elektrische Mönch” – ein interessantes Konzept:

“Der Elektrische Mönch war ein Gerät zur Arbeitseinsparung wie ein Geschirrspüler oder Videorecorder. Geschirrspüler spülten für einen dass langweilige Geschirr und ersparten einem so die Mühe, es selber spülen zu müssen; Videorecorder sahen sich für einen langweilige Fernsehprogramme an und ersparten einem so die Mühe, sie selber ansehen zu müssen; Elektrische Mönche glaubten für einen gewisse Dinge und ersparten einem damit, was allmählich zu einer immer beschwerlicheren Aufgabe wurden, nämlich alle Dinge zu glauben, die zu glauben die Welt von einem erwartete.”

Was hat das ganze nun mit uns und Produktentwicklung zu tun? Ganz einfach: manchmal habe ich das Gefühl, dass UX- oder User Researcher, Usability-Consultants und ähnliche Berufsgruppen von Produktmanagern und UX Designer für die “immer beschwerlicheren Aufgabe” genutzt werden, zu erfahren wer die Nutzer sind, welche Probleme sie umtreiben, welche Bedürfnisse sie haben etc.

Nichts gegen User Researcher – ich habe selbst 8 Jahre lang in diesem Beruf gearbeitet, hatte viele interessante Kunden und Projekte, hab viel gelernt und halte solche Experten für sehr wichtig. Allerdings hatte es mich damals schon immer gestört, dass ich meinen damaligen Kunden (was häufig Produktmanager waren) wie ein Elektrischer Mönch vorbeten musste, wer die Nutzer sind und welche Probleme sie haben und sie diese Erkenntnisse dann doch nicht immer nachvollziehen konnten und wollten, einfach weil sie nicht selbst mit den Nutzern gesprochen hatten.

Was also tun?

Es gibt vermutlich mehrere Gründe dafür, dass Produktmanager und UX Designer zum Kennenlernen der Nutzer die User Researcher vorschicken. Einige Hypothesen:

  • Produktmanager sind immer so sehr mit operativem Tagesgeschäft, Stakeholder-Meetings oder anderen scheinbar wichtigen Tätigkeiten ausgelastet, dass im Kalender schlicht kein freier Slot für User Research bleibt.
  • User Research wird als zu kompliziert und aufwändig wahrgenommen wird oder es fehlt schlichtweg das Knowhow, wie man richtig mit den Nutzern spricht, um auch die passenden Antworten zu den vorhandenen Fragen zu erhalten.
  • Es existieren gewisse Berührungsängste, mit den Nutzern und Kunden zu sprechen.

Zum ersten Punkt sei nur die Frage gestellt, was wirklich wichtiger ist: im operativen Wahn untergehen und ein Produkt managen, welches an den Bedürfnissen der Nutzer vorbei geht – oder herauszufinden, was überhaupt das richtige Produkt ist? Hierüber sollte sich jeder Produktmanager im Klaren sein und seine / ihre Prioritäten entsprechend setzen.

Bezüglich der Aufwände und Kompliziertheit von User Research lässt sich nur sagen, dass es viele schlanke und wenig aufwändige Möglichkeiten gibt, mit Nutzern in Kontakt zu treten und zu sprechen. Falls ihr euch näher dazu informieren möchtet, hier ein paar Lesetipps:

Hierbei werden einem auch die Berührungsängste mit Nutzern genommen, denn wenn man weiß, welche Fragen man wie stellen sollte, sind Nutzer-Interviews in der Regel nett, sehr ergiebig und machen Spaß.

Fazit

Wie bereits zu Beginn beschrieben ist meine These etwas provokant und mag vielleicht auch etwas abwertend gegenüber User Researchern klingen. So ist sie allerdings nicht gemeint; vielmehr soll sie ein nochmaliger Aufruf an alle Produktentwickelnden sein: auf an die User-Testing-Front!

Das Jahr 2016 hat gerade erst begonnen… vielleicht hat der / die eine oder andere ja noch Kapazitäten für gute Vorsätze ;-)

Über Rainer Gibbert

Rainer ist Produktmanager mit großer Begeisterung für gute, Kunden-orientierte und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte. Derzeit leitet er bei der Star Finanz GmbH in Hamburg den StarMoney Bereich und verantwortet dort die Produktentwicklung. Zuvor war Rainer u.a. bei REBELLE als Head of Product, bei Fielmann Ventures als Senior Produktmanager sowie bei OTTO als Produktmanager im E-Commerce Innovation Center tätig und leitete das User Insights Team bei der XING AG.

2 Kommentare

  1. Thorsten Wilhelm

    Als User Researcher kann ich das nur bestätigen:
    Produktmanager und Designer sollten, ja müssen in der Forschung mitwirken.
    Das bestenfalls nicht nur beim Schreiben der Anforderungen an Tests.
    Viel wichtiger erscheint mir die aktive, teilnehmende Beobachtung von Usertests.
    Zum Beispiel an den genannten User Feedback Days.
    Aktiv und teilnehmend meint dabei zuhören, Probleme und Anforderungen aufnehmen, drüber diskutieren und Schlüsse ziehen. Das bestenfalls geleitet durch eine gute Moderation der Testbeobachtungen.
    Auf diese Weise gelingt es sich immer besser in seine Nutzer hineinzuversetzen.
    Eine solche Live-Beobachtung kann ein Lesen eines Testberichts niemals ersetzen.

    P.S.: Eine Grund, warum viele Firmen User Research auslagern, könnte einfach auch daran liegen, dass die UX und Research Agenturen die preiswerteren Kostenstrukturen haben.



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