Teilnehmer für User Research zu finden ist nicht schwer!

Keiner unserer Leser wird hoffentlich in Frage stellen, dass User Research wichtig für die Produktentwicklung ist. Wer Research plant, muss allerdings erst einmal an (die richtigen) Teilnehmer für Gespräche, Interviews oder User Tests kommen. Hier tun sich gerade beim ersten Anlauf erfahrungsgemäß viele schwer.

In diesem Beitrag werde ich daher Ideen aufzeigen, wie und wo man mit Nutzern ins Gespräch kommen kann – sei es in der „freien Wildbahn“ oder unter kontrollierten Bedingungen. Somit gibt es keine Ausreden mehr, die eigenen User-Research-Pläne auf die lange Bank zu schieben. Frei nach dem Motto: raus aus dem Büro und ab ins Gespräch mit den Nutzern!

Die Fragestellung klären

Bevor man sich ins User Research stürzt, sollte man sich über ein paar grundlegende Fragen im Klaren werden. Allen voran: Was möchte ich eigentlich herausfinden?

  • Kundenzufriedenheit und Produkt-Nutzung: Möchte ich wissen, wie zufrieden meine bestehenden Nutzer sind, welche Probleme es mit der Nutzung meines Produktes gibt oder wie mein Produkt genutzt wird?
  • Neue Zielgruppen: Oder möchte ich herausfinden, wie ich neue Zielgruppen für mein Produkt erreichen und ansprechen kann, welche Hürden aus dem Weg geräumt werden müssen, damit ich neue Nutzer generieren kann?
  • Ideen für Produkt-Innovationen: Oder gibt es vielleicht noch gar kein Produkt und ich möchte erst einmal herausfinden, welche Probleme es in der Welt gibt, die es zu lösen lohnt?

Abhängig von der Fragestellung muss man dann entscheiden, ob man mit Bestandskunden, potentiellen Kunden aus der Zielgruppe oder mit Menschen allgemein sprechen sollte.

Gespräche mit Bestandskunden

Am einfachsten ist in der Regel die Rekrutierung von Teilnehmern aus dem Bestand. Das Einverständnis zur Kontaktaufnahme vorausgesetzt, gibt es hier die Möglichkeit, die Kunden oder Nutzer direkt anzusprechen, anzurufen, einzuladen oder zu sogar besuchen.

Im B2B-Bereich sollte die Kontaktaufnahme dabei besonders einfach sein, hat man in der Regel doch Kollegen im Vertrieb oder Accountmanagement, die sowieso in ständigem Kontakt mit den Kunden stehen. Diese können einen entweder mit Kontaktdaten versorgen oder gleich beim nächsten Kundenbesuch mitnehmen. Zudem gibt es den Vorteil, dass B2B-Kunden häufig sehr auskunftsfreudig sind, möchten sie doch das Produkt auf ihre Bedürfnisse und Vorgehensweisen angepasst haben.

Aber Achtung, gerade im B2B-Bereich ist der Kunde (derjenige, der die Auswahl trifft und ggf. bezahlt) oft nicht der Nutzer (der tatsächlich regelmäßig mit dem Produkt arbeitet)! Außerdem muss man natürlich darauf achten, die Wünsche einzelner Kunden (z.B. der mit dem meisten Umsatz) nicht zu stark zu gewichten – zu Lasten einer Feature-Liste, die für andere Kunden nicht relevant oder gar kontraproduktiv ist.

Auch im B2C-Bereich lassen sich Bestandskunden in der Regel gut ansprechen, sei es über ein Mailing an Newsletter-Abonnenten, ein Facebook-Posting oder Tweet an die entsprechenden Follower, oder auch die unaufdringliche Frage zum Ende eines Customer Support Gesprächs, ob ggf. das Interesse an einem weiteren Interview bestünde.

Auf der Suche nach neuen Kunden und Nutzern

Hat man nicht den Luxus, auf einen großen Kundenbestand zugreifen zu können, oder möchte man gezielt potentielle Neukunden ansprechen, muss man bei der Rekrutierung von Teilnehmern kreativer werden. Hier gilt es zunächst herauszufinden, wo sich potentielle Kunden herumtummeln könnten:

  • Sind sie einfach auf der Straße, in Einkaufszentren oder Cafes anzutreffen?
  • Halten sie sich an speziellen Orten wie Geschäften, Ämtern, Bahnhöfen, Flughäfen o.ä. auf?
  • Gibt es besondere Veranstaltungen, Konferenzen, Messen, bei denen sie teilnehmen könnten?
  • Erreicht man sie über spezielle Kanäle, Medien oder Foren?

Abhängig vom Ort, Situation und Kontext sollte man sich dann eine Taktik überlegen, wie man seine Gesprächsteilnehmer ansprechen oder rekrutieren kann.

Die aktive Ansprache

Eine einfache und günstige Möglichkeit, mit potentiellen Kunden und Nutzern ins Gespräch zu kommen, ist die direkte Ansprache – die allerdings etwas Mut und Offenheit erfordert. Einige Beispiele:

  • Hat man einen Online-Shop oder ein Produkt im Mode-Bereich, kann man die Guerilla-Taktik versuchen und einfach Leute in Einkaufsstraßen bzw. -zentren oder vor Geschäften mit ähnlicher Zielgruppe ansprechen. In meiner Zeit bei Otto habe ich häufiger solche Guerilla-Tests gemacht und Shopperinnen in der Hamburger Europa-Passage Prototypen von der neuen iPad-App gezeigt.
  • Möchte man Gespräche mit etwas mehr Zeit und Ruhe führen, eigenen sich auch Coffeeshop-Test. Als ich noch für XING tätig war, haben wir uns beispielsweise häufig zu Starbucks gesetzt und dort (mit vorherigem Einverständnis des Personals) Personen angesprochen und gefragt, ob sie gegen einen Kaffee mit uns sprechen oder sich unsere neuesten Ideen anschauen wollten. Der Vorteil: die Leute haben meist Zeit und Ruhe… und bei Starbucks gibt es kostenloses WLAN. Auch Wartebereiche an Bahnhöfen oder in Flughäfen (falls man dort hinein kommt) eigenen sich, um Personen mit Zeit anzusprechen.
  • Weniger ruhig, aber trotzdem ergiebig kann die einfache Beobachtung und ggf. auch die Ansprache von Personen in Geschäften sein. Möchte man beispielsweise herausfinden, wie Kauf- und Entscheidungsprozsse ablaufen, kann es interessant sein einfach nur zu schauen, wie sich Personen bei der Auswahl z.B. eines Fernsehers in Media Markt oder Saturn verhalten. Aber Vorsicht: weder die Kunden sollten sich gestalked fühlen, noch sollte ein Kaufhausdetektiv auf euch aufmerksam werden. Idealer Weise holt ihr euch grundsätzlich eine Erlaubnis bei der Marktleitung.

Je nach eigener Persönlichkeit, Dreistigkeit oder auch Zurückhaltung fällt eine solche Vorgehensweise leichter oder schwerer. Natürlich erfährt man dabei auch immer wieder Abweisung oder wird schlichtweg ignoriert. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen, ergeben sich aus den erfolgreichen Kontakten doch tolle Möglichkeiten, zu lernen und ins Gespräch mit netten Menschen zu kommen.

Die leise, indirekte Ansprache

Wer trotzdem eine etwas weniger aggressive Strategie fahren möchte, der kann natürlich auch versuchen, Teilnehmer über andere Kanäle zu rekrutieren.

  • Eine prima Möglichkeit hierzu bieten soziale Netzwerke wie Facebook, XING und Co. mit ihren Gruppen, die häufig auf sehr spezielle Themen und Personenkreise ausgelegt sind. Postet einfach in diese Gruppen die Frage, wer an einem (persönlichen oder telefonischen) Gespräch zu eurem Thema teilnehmen möchte.
  • Alternativ kann man auch den etwas teureren, aber möglicherweise ebenfalls lohnenswerten Weg gehen und beispielsweise eine Anzeige bei Facebook oder Google schalten. Je nach Zielgruppen-Kriterien kann man hier sehr gut definieren, wer angesprochen werden soll.
  • Auch bei Ebay Kleinanzeigen oder auf anderen Kleinanzeigen-Portalen kann man gut inserieren.
  • Wesentlich unspezifischer und teurer, aber in manchen Fällen ebenfalls eine Möglichkeit ist die gute alte Annonce in einer lokalen oder überregionalen Zeitung.

Wichtig beim Inserieren jeglicher Art ist: kommuniziert, welche Gesprächspartner oder Interview-Teilnehmer ihr genau sucht und was diese davon haben (in der Regel eine Incentivierung in Bar oder einen Gutschein), aber haltet euch bzgl. des konkreten Themas bedeckt, sodass die Teilnehmer unbefangen antworten und sich nicht auf das Gespräch “vorbereiten”.

Die bequeme Variante: rekrutieren lassen

Wer keine oder nur wenig Zeit, dafür aber etwas mehr Budget für die Suche von möglichen Gesprächsteilnehmern hat, dem kann ich noch eine weitere Möglichkeit zur Rekrutierung empfehlen: Es gibt regional oder bundesweit arbeitende professionelle Marktforschungs-Rekrutierer. Diese besitzen in der Regel einen umfangreichen Pool an potentiellen Probanden, die bereits zu unterschiedlichen Merkmalen vorbefragt wurden. Dieser Pool wird ständig erweitert und aktualisiert und meist besteht die Möglichkeit, dass spezielle Merkmale nacherfasst werden.

Benötigt man nun Teilnehmer für Interviews bzw. User-Tests, schickt man diesen professionellen Rekrutierern einen Fragenkatalog (den sogenannten Screener), in dem die Eigenschaften der benötigten Teilnehmer definiert sind. Der Rekrutierer telefoniert dann eine Auswahl an möglichen Probanden aus dem Pool an und klärt, ob diese zu der Zielgruppe passen.

Wenn sie passen und zu den vorgeschlagenen Terminen können, kommen die Teilnehmer dann zum festen Zeitpunkt zum Gespräch vorbei. Bei möglichen Absagen der Teilnehmer kümmert sich der Rekrutierer (falls zeitlich noch realistisch) um Ersatz. Und das Ganze zu einem fixen Kontaktpreis, der abhängig von den Rekrutierungskriterien und der Einfachheit der entsprechenden Rekrutierung ist (von ca. 30 EUR bei einfach zu erreichenden Personen bis ca. 100 EUR bei schwer zu erreichenden Zielgruppen).

Fazit

Teilnehmer für User Research zu finden ist nicht schwer! Es gibt hierzu viele Möglichkeiten, die mehr oder weniger Kreativität, Engagement oder Budget erfordern. Ich hoffe, die oben genannten Tipps und Beispiele helfen euch künftig dabei, die richtigen Teilnehmer zu finden. Jedenfalls gilt die Ausrede “Ich weiß nicht, wie ich an passende Teilnehmer komme” von nun an nicht mehr! ;-)

Und teilt gerne eure Erfahrungen mit den anderen Lesern: wie habt ihr eure Interview-Teilnehmer gefunden? Was hat gut funktioniert? Welche Probleme hattet ihr? Ich freue mich auf euer Feedback!

 

Über Rainer Gibbert

Rainer ist Produktmanager mit großer Begeisterung für gute, Kunden-orientierte und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte. Derzeit leitet er bei der Star Finanz GmbH in Hamburg den StarMoney Bereich und verantwortet dort die Produktentwicklung. Zuvor war Rainer u.a. bei REBELLE als Head of Product, bei Fielmann Ventures als Senior Produktmanager sowie bei OTTO als Produktmanager im E-Commerce Innovation Center tätig und leitete das User Insights Team bei der XING AG.

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