Produktmanager an die (User-Testing) Front!

Vor einiger Zeit wurde ich von einem Bekannten angesprochen, der gerade dabei war, ein User-Lab bei seinem Arbeitgeber einzurichten. Er fragte mich, ob ich auch Erfahrung hätte mit einer Zwei-Wege-Kommunikation zwischen dem Interview-Leiter und den Beobachtern, sodass die Beobachter – in der Regel die Produktmanager – aus dem Beobachtungsraum heraus Fragen an den Interview-Leiter weitergeben können, die dieser dann mit den Testpersonen besprechen kann.

Ja, ich habe Erfahrungen mit solcher Zwei-Wege-Kommunikation gemacht. Technisch kann man hierfür einfach Instant-Messaging-Systeme wie Skype, ICQ o.ä. einsetzen oder – etwas ausgefeilter – per Mikrofon und Knopf im Ohr des Interview-Leiters eine Kommunikation ermöglichen. Aber ehrlich gesagt ich kann von dem Einsatz dieser Möglichkeiten nur abraten!

Zum einen ist es für den Interview-Leiter einfach nur nervig und für den Verlauf eines Interviews eher kontraproduktiv, wenn man, während man sich auf die Moderation und das Gespräch mit der Testperson zu konzentrieren versucht, dauernd durch Fragen aus dem Beobachtungsraum abgelenkt wird. Fragen, die man als guter Interview-Leiter wahrscheinlich sowieso noch gestellt hätte, die aber im Kontext des Gesprächs einfach noch nicht gepasst hatten.

Was ich aber für das viel kritischere Problem an dieser Art von Interview-Setup halte ist, dass der Produktmanager wenn überhaupt nur im Beobachtungsraum sitzt!

Mit die wichtigste Aufgabe eines Produktmanagers ist es doch, sich direkt mit seinen (potentiellen) Nutzern und Kunden auseinander zu setzen, sich mit den Nutzern zu unterhalten und deren Anforderungen zu erheben – und das nicht nur über einen Mittelmann im Interview-Raum, der per Knopf im Ohr Fragen an die Testperson weiter gibt. Jeder Produktmanager sollte das große Interesse haben, seine Fragen direkt mit der Testperson zu besprechen.

Natürlich ist die Führung von Interviews nicht jedermanns Sache und natürlich gibt es ausgebildete Usability-Experten und Moderatoren, die darauf spezialisiert sind, die richtigen Fragen auf die richtige Art zu stellen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass der Produktmanager nicht mit im Interview-Raum sitzen sollte, dem Interview-Verlauf vis-à-vis folgen kann und dann seine Fragen selber direkt mit der Testperson klärt, wenn die Gelegenheit günstig ist.

Mein bevorzugtes Setup für einen Usability-Test oder ein Nutzer-Interview ist also immer das Dreier-Gespräch: die Testperson sitzt mit dem Interview-Leiter (dem UX-Experten) und dem Produktmanager zusammen im User-Lab, der Interview-Leiter führt das Gespräch, der Produktmanager hört direkt zu und hakt an den Stellen nach, die für ihn wichtig sind.

Natürlich sind dafür ein paar Grundregeln zu beachten und der Produktmanager sollte zunächst eine kurze Einführung in Fragetechniken (z.B. Vermeidung von geschlossene Fragen und von Suggestivfragen) erhalten. Eine gute, kurze und pragmatische Einführung in das Thema gibt auch das Buch “Rocket Surgery Made Easy: The Do-it-yourself Guide to Finding and Fixing Usability Problems” von Steve Krug. Mit diesem Kenntnisstand sollte aber jeder in der Lage sein, selbst ein Interview direkt vor Ort zu führen oder zumindest zu begleiten.

Daher der Aufruf an alle Produktmanager: zeigt keine Scheu, auf an die User-Testing Front! Denn man kann keinen größeren Fehler beim Interviewen machen als nicht direkt dabei zu sein und seine Fragen nicht oder nicht direkt mit den Nutzern zu klären!

P.S. in einem kommenden Artikel werde ich noch detaillierter darauf eingehen, welche Art von User-Tests bzw. Interview für welche Fragestellungen die besten sind.

Über Rainer Gibbert

Rainer ist Produktmanager mit großer Begeisterung für gute, Kunden-orientierte und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte. Derzeit leitet er bei der Star Finanz GmbH in Hamburg den StarMoney Bereich und verantwortet dort die Produktentwicklung. Zuvor war Rainer u.a. bei REBELLE als Head of Product, bei Fielmann Ventures als Senior Produktmanager sowie bei OTTO als Produktmanager im E-Commerce Innovation Center tätig und leitete das User Insights Team bei der XING AG.

4 Kommentare

  1. Miriam Scheibe

    Hallo Rainer,

    ich halte dieses Setup für etwas schwierig, da die Testperson durch den zweiten Interviewer in der eh schon ungewöhnlichen Laborsituation möglicherweise noch stärker verunsichert wird.
    Wir halten es bei uns so, dass alle Beobachter im Nebenraum den Test über eine Videoleinwand aktiv verfolgen. Aktiv heisst, dass sie sie auf Post-Its Notizen machen, die am Ende der Session den unterschiedlichen Bereichen (Themen und/oder Screens) zugeordnet werden.
    Nach dem Interview geht der Moderator in den Nebenraum und sammelt die aufgekommenen Fragen der Beobachter ein, um sie dann der Testperson zu stellen.

    Wie genau ist eure Erfahrung mit diesem Setup bezogen auf die Testpersonen?


  2. Rainer Gibbert Artikelautor

    Hallo Miriam,

    Ich habe dieses Setup mit Moderator und Beisitzendem sowohl bei XING als auch bei Otto eingesetzt und hab dabei nie negative Erfahrungen gemacht oder das Gefühl gehabt, dass die Testperson zusätzlich verunsichert wird. Im Gegenteil hat dies die Atmosphäre eher sogar aufgelockert. Einerseits gibt die zusätzliche Person die Möglichkeit, dass Pausen besser überbrückt werden (wenn zB der Moderator gerade Notizen macht), andererseits ist es auch besser, wenn es zwischenmenschlich zwischen Moderator und Testperson nicht so passt… Was ja immer mal vorkommen kann.

    Aber wie im Artikel beschrieben halte ich es für sehr wichtig, dass der Produktmanager direkt mit im Gespräch sitzt und seine Fragen direkt stellen kann. Sonst geht immer etwas verloren.


  3. Bernhard

    Ich sehe das eher wie Rainer. Die Einbindung von Produktmanagern hat auch noch eine andere wichtige Funktion: nimmt der PM direkt an der Interview Session teil, “sitzt er mit im Boot”, heißt er wird viel stärker hinter den gewonnen Erkenntnissen stehen, als wenn er im Beobachtungsraum sitzt.

    Da haben wir im Nachhinein oft böse Überraschungen erlebt, da PMs teilweise nach Lesen des Reports kommuniziert haben, eine andere Wahrnehmung der Tests zu haben.

    Auch kann man das den Testpersonen vorab durchaus schmackhaft machen, dass sie von 2 Leuten interviewt werden.

    Aus meiner Sicht sollte sogar noch einen Schritt weiter gehen. Wir haben mit den MPs sowohl das Interview konzipiert als auch gemeinsam durchgeführt, und zwar jede Session. Sobald das Interview fertig war, hat man sich gemeinsam hingesetzt und gleich die Erkenntnisse zusammen festgehalten, damit auch hier gleich ein gemeinsames Verständnis entsteht. Spätestens dann hat man jeden PM im Boot, denn es ist ein gemeinsames Research, das man hier durchführt.

    Ich denke, dass man nur so schnell vorwärts kommt, wenn man User Interiews gemeinsam mit dem Produktmanagement konzipiert und durchführt, sonst entsteht schnell eine “UX gegen PM”-Atmosphäre.


  4. Simon Michaelis

    Wir haben bei uns kein räumliches Usability Lab, also auch keine Beobachtungsraum. Daher hat sich bei uns folgende Konstellation ergeben: Der UX-Designer führt das Usability Lab als Moderator durch, der Produktmanager sitzt daneben und protokolliert. (Wir sind ja nicht bei Mad Men) Es gibt Dinge, die kann man auch aus einem Beobachtungsraum nicht wahrnehmen. Das hat dann auch den großen Vorteil, dass der Moderator (UX Designer) nicht mitschreiben muss und sich vollständig auf die Kommunikation mit dem Benutzer konzentrieren kann.


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